Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
die Ohrringe behalten.« Sie seufzte. »Ich würde mich besser fühlen, wenn er nicht so großzügig gewesen wäre. Dennoch ist es gut, so etwas zu besitzen. Als eine Art Sicherheitsnetz. Das wird mir das Leben erleichtern, wenn ich nicht bald mal was von meinem Schirmherrn höre.«
    »Hoffst du etwa immer noch, dass er sich meldet?«, fragte ich. »Nach dem, was in Trebon vorgefallen ist? Nachdem er über einen Monat lang nichts mehr von sich hat hören lassen?«
    Denna zuckte die Achseln. »So ist er halt. Ich hab dir doch erzählt, was für ein Geheimniskrämer er ist. Es ist bei ihm gar nicht ungewöhnlich, dass er für längere Zeit verschwindet.«
    »Ich habe einen Freund, der gerade einen Schirmherrn für mich sucht«, sagte ich. »Ich könnte ihn bitten, dir auch einen zu suchen.«
    Sie sah mich mit unergründlichem Blick an. »Es ist lieb von dir, dass du meinst, ich hätte etwas Besseres verdient, aber dem ist gar nicht so. Ich habe nur eine gute Stimme, weiter nichts. Wer würde schon eine nur halb ausgebildete Musikerin engagieren, die kein einziges Instrument beherrscht?«
    »Jeder, der Ohren hat, dich zu hören«, sagte ich. »Und jeder, der Augen hat, dich zu sehen.«
    Denna blickte zu Boden, und ihr Haar fiel ihr wie ein Vorhang vors Gesicht. »Du bist süß«, sagte sie leise und machte mit den Händen eine seltsame, nestelnde Geste.
    »Woran ist die Sache mit Kellin denn in die Brüche gegangen?«, fragte ich und lenkte das Gespräch damit auf ungefährlicheres Terrain.
    »Ich habe zu viel Zeit damit verbracht, Herrenbesuche zu empfangen«, erwiderte sie trocken.
    Wen meinte sie damit? Ich hatte sie ja nur ein einziges Mal besucht. War Ambrose so oft bei ihr gewesen? Ich konnte ihn mir sehr gut in dem luxuriös eingerichteten Wohnzimmer vorstellen. Wie |223| sein verdammter Hut ganz lässig an einer Stuhllehne hing, während er dort saß, Schokolade trank und Witze erzählte.
    Dennas Mundwinkel zuckten. »Es war vor allem Geoffrey, an dem er sich gestört hat«, sagte sie. »Anscheinend hätte ich seiner Meinung nach still und einsam in meinem goldenen Käfig sitzen sollen, und er hätte mir dann hin und wieder seine Aufwartung gemacht.«
    »Wie geht es Geoffrey denn?«, fragte ich der Höflichkeit halber. »Hat er’s schon geschafft, einen zweiten Gedanken im Kopf zu behalten?«
    Ich hatte ein Lachen erwartet, doch Denna seufzte nur. »Ja, aber das sind alles keine sonderlich klugen Gedanken.« Sie schüttelte den Kopf. »Er war nach Imre gekommen, um sich hier als Dichter einen Namen zu machen, aber dann hat er beim Glücksspiel sein letztes Hemd verloren.«
    »So was höre ich nicht zum ersten Mal«, sagte ich. »Drüben bei uns an der Uni kommt das ständig vor.«
    »Es war nur der Anfang«, sagte sie. »Er glaubte natürlich, er könnte das Geld zurückgewinnen. Erst ist er ins Pfandhaus gegangen. Dann hat er sich Geld geliehen und das ebenfalls verloren.« Sie machte eine beschwichtigende Geste. »Fairerweise sollte ich erwähnen, dass er es nicht verspielt hat. Eine Frau hat ihn ausgetrickst. Hat ihn ausgerechnet mit der weinenden Witwe reingelegt.«
    Ich sah sie verwirrt an. »Der was?«
    Denna sah mich von der Seite an und zuckte dann die Achseln. »Das ist ein ganz einfacher Bauernfängertrick«, sagte sie. »Eine junge Frau steht in Tränen aufgelöst vor einer Pfandleihe, und wenn ein reicher Herr des Weges kommt, erklärt sie ihm, dass sie in die Stadt gekommen sei, um ihren Ehering zu versetzen. Sie bräuchte das Geld für die Steuern oder um ein Darlehen abzutragen.«
    Denna machte eine ungeduldige Handbewegung. »Die Einzelheiten sind egal. Worauf es ankommt, ist, dass sie, als sie in die Stadt kam, jemanden gebeten hat, den Ring für sie zu versetzen. Denn sie kennt sich mit so was natürlich überhaupt nicht aus.«
    Denna blieb vor dem Schaufenster einer Pfandleihe stehen, ihr Gesicht ein Bild der Verzweiflung. »Ich dachte, ich könnte ihm vertrauen!«, sagte sie. »Aber er hat ihn versetzt und ist mit dem Geld auf |224| und davon! Das da ist der Ring!«, sagte sie und wies mit dramatischer Geste in das Schaufenster.
    »Aber«, fuhr Denna fort und hob einen Zeigefinger, »glücklicherweise hat er den Ring nur für einen Bruchteil seines wahren Werts versetzt. Es ist ein Familienerbstück, das eigentlich vierzig Talente wert ist, aber die Pfandleihe verkauft ihn für vier.«
    Denna kam mir näher, legte mir eine Hand auf die Brust und sah mich aus großen, flehend blickenden Augen

Weitere Kostenlose Bücher