Die Furcht des Weisen / Band 1
gewankt zu kommen«, sagte ich. »Dort würde er dann beten und seine Lektion lernen, und anschließend wäre er bis an sein Lebensende ein tugendhafter Junge.«
»Es wäre alles anders abgelaufen, wenn er mich rechtzeitig um Rat gefragt hätte«, sagte sie mit hilfloser Geste. »Aber nein, er schneit erst danach bei mir rein, um mir zu erzählen, was er getan hat. Die Geldverleiher der Gilde hatten ihm den Kredit gesperrt, was also macht er?«
Mir zog sich der Magen zusammen. »Er geht zu einem Gaelet«, sagte ich.
»Und er war heilfroh, als er mir das erzählt hat! Er glaubte, er hätte endlich einen Ausweg aus seinem ganzen Schlamassel gefunden.« Sie fröstelte. »Komm, wir gehen hier rein.« Sie wies in Richtung eines kleinen Parks. »Es ist heute Nacht doch windiger, als ich gedacht hatte.«
Ich stellte meinen Lautenkasten ab und gab ihr meinen Umhang. »Hier, mir ist warm genug.«
Denna zögerte einen Moment lang, ihn anzunehmen, und legte ihn sich dann doch um die Schultern. »Und du behauptest, kein Gentleman zu sein«, sagte sie.
»Bin ich auch nicht«, sagte ich. »Ich weiß, dass er anschließend besser riecht, wenn du ihn getragen hast.«
»Ach so«, erwiderte sie. »Und dann verkaufst du ihn an einen Parfümhersteller und verdienst ein Vermögen damit.«
|227| »Eben diesen Plan verfolge ich seit geraumer Zeit«, gestand ich. »Wie du siehst, bin ich eher ein Dieb als ein Gentleman.«
Wir setzten uns auf eine windgeschützte Bank. »Ich glaube, du hast einen Verschluss verloren«, sagte Denna.
Ich sah auf meinen Lautenkasten. Das schmale Ende stand offen, und der eiserne Verschluss war tatsächlich hinüber.
Mit einem Seufzen griff ich nach einer Innentasche meines Umhangs.
Denna gab nur ein erschrecktes Geräusch von sich und sah mich aus großen, dunklen Augen an.
Ich zog meine Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt, und stammelte eine Entschuldigung.
Denna lachte leise. »Eine peinliche Szene«, sagte sie wie im Selbstgespräch.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich habe nicht mitgedacht. Da ist ein bisschen Draht in einer Tasche. Damit könnte ich den Kasten provisorisch verschließen.«
»Oh«, sagte sie. »Natürlich.« Sie tastete umher und hielt mir dann den Draht hin.
»Tut mir leid«, sagte ich noch einmal.
»Ich hab mich bloß erschreckt«, sagte sie. »Ich dachte nicht, dass du der Typ Mann bist, der ohne Vorwarnung eine Frau anfasst.«
Ich blickte verlegen auf meine Laute und beschäftigte meine Hände, indem ich den Draht durch ein Loch fädelte, das der Verschluss hinterlassen hatte, und ihn dann zusammenzwirbelte.
»Es ist eine so schöne Laute«, sagte Denna nach längerem Schweigen. »Aber der Kasten ist ja völlig hinüber.«
»Ich habe mein letztes Geld für die Laute ausgegeben«, sagte ich und hob dann den Blick, als hätte ich mit einem Mal eine Idee. »Ich weiß was! Ich lass mir von Geoffrey den Namen seines Gaelets geben! Dann kann ich mir zwei Kästen leisten!«
Denna verpasste mir einen neckischen Klaps, und ich setzte mich wieder neben sie auf die Bank.
Wir schwiegen einen Moment lang, und dann blickte Denna auf ihre Hände und machte eine nestelnde Bewegung, die sie schon einige Male im Laufe unseres Gesprächs gemacht hatte. Doch erst |228| diesmal wurde mir klar, was sie da tat. »Dein Ring«, sagte ich. »Was ist damit geschehen?«
Denna sah mich fragend an.
»So lange ich dich kenne, hast du immer einen bestimmten Ring getragen«, erklärte ich. »Aus Silber. Mit einem hellblauen Stein.«
Sie runzelte die Stirn. »Ich weiß das. Aber woher weißt du das?«
»Du hast ihn immer getragen«, sagte ich und gab mir Mühe, es ganz beiläufig klingen zu lassen, als wüsste ich nicht jede Einzelheit über sie. Als würde ich ihre Angewohnheit nicht kennen, ihn am Finger hin und her zu drehen, wenn sie angespannt oder in Gedanken versunken war. »Was ist damit geschehen?«
Denna sah wieder auf ihre Hände. »Ein junger Herr hat ihn«, sagte sie.
»Ah«, sagte ich. Und fragte dann, weil ich es mir einfach nicht verkneifen konnte: »Wer?«
»Ich glaube nicht, dass –« Sie hielt inne und sah mich an. »Doch, du könntest ihn kennen. Er studiert auch an der Universität. Ambrose Jakis.«
Schlagartig fühlte sich mein Magen an wie mit Eis und Säure gefüllt.
Denna wandte den Blick ab. »Er hat einen gewissen rauhen Charme«, erklärte sie. »Na ja, eigentlich eher rauh als Charme. Aber …« Sie verstummte und zuckte die Achseln.
»Ich verstehe«,
Weitere Kostenlose Bücher