Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
getrunken hätte, aber mein Körper war den Alkohol nicht mehr gewöhnt, deshalb spürte ich an jenem Morgen jeden Schluck dreifach. Ich schleppte mich ins Badehaus, setzte mich in das heißeste Becken, das ich gerade noch aushalten konnte, und schrubbte, so gut es ging, das sandige Gefühl auf der Haut ab.
Auf dem Rückweg zum Speisesaal kamen mir im Gang Vashet und Shehyn entgegen. Vashet bedeutete mir, ihnen zu folgen, was ich auch tat. Zum Kämpfen oder zu einer förmlichen Unterhaltung fühlte ich mich nicht imstande, aber deshalb die Aufforderung abzulehnen kam auch nicht in Frage.
Wir gingen verschiedene Gänge entlang und gelangten zuletzt ins Zentrum der Schule. Dort überquerten wir einen Innenhof und näherten uns einem kleinen, viereckigen Gebäude. Shehyn schloss es mit einem kleinen eisernen Schlüssel auf. Es war die erste abgesperrte Tür, die ich in Haert sah.
Wir traten in einen engen, fensterlosen Flur. Vashet schloss die äußere Tür und es wurde stockdunkel, und auch der ständige Wind war nicht mehr zu hören. Dann öffnete Shehyn die innere Tür. Das warme Licht eines halben Dutzends Kerzen hieß uns willkommen. Es kam mir am Anfang seltsam vor, dass man sie in einem leeren Zimmer hatte brennen lassen …
Nun sah ich erst, was an den Wänden hing: Dutzende von Schwertern. Ihre blanken Klingen schimmerten im Kerzenlicht, die Scheiden hingen jeweils darunter.
Ansonsten gab es keinerlei kultischen Schmuck, wie man ihnetwa in einer Tehlanerkirche finden mochte, weder Wandteppiche noch Gemälde. Nur die Schwerter. Trotzdem merkte man sofort, dass der Raum eine besondere Bedeutung hatte. Es lag eine Spannung in der Luft, wie man sie etwa in der Bibliothek der Universität oder auf einem alten Friedhof spürt.
Shehyn wandte sich an Vashet. »Triff deine Wahl.«
Vashet sah sie erschrocken, geradezu unglücklich an. Sie wollte eine Gebärde machen, doch Shehyn hob die Hand, bevor sie protestieren konnte.
»Er ist dein Schüler«, sagte Shehyn.
Ablehnung.
»Du hast ihn in die Schule gebracht, deshalb musst du jetzt wählen.«
Vashet sah Shehyn an, dann mich und dann die vielen blitzenden Schwerter mit ihren schmalen, tödlichen Klingen, von denen keine zwei gleich waren. Einige waren gekrümmt, andere länger oder breiter. Einige zeigten starke Gebrauchsspuren, einige wenige ähnelten mit ihren abgenutzten Griffen und makellosen Klingen aus grau schimmerndem Metall Vashets Schwert.
Langsam trat Vashet an die Wand auf der rechten Seite, nahm ein Schwert herunter, bewegte es prüfend hin und her und hängte es wieder an seinen Platz. Dann nahm sie ein anderes, packte es und hielt es mir hin.
Ich ergriff es. Es war leicht und hauchdünn.
»Die Sich Kämmende Jungfrau«, sagte Vashet.
Ich gehorchte ein wenig befangen, weil Shehyn zusah. Doch noch bevor ich die ausladende Bewegung zur Hälfte ausgeführt hatte, schüttelte Vashet schon den Kopf. Sie nahm das Schwert wieder und hängte es zurück.
Nach kurzem Suchen reichte sie mir ein zweites. Über die Klinge zog sich wie eine Efeuranke eine abgenutzte Gravur. Auf Vashets Aufforderung vollführte ich einen Fallenden Reiher. Ich riss das Schwert in die Höhe und schlug mit einem Ausfallschritt zu. Die Klinge zitterte. Vashet sah mich mit fragend erhobenen Augenbrauen an.
Ich schüttelte den Kopf. »Die Spitze ist zu schwer für mich.«
Vashet schien nicht sehr überrascht und hängte auch dieses Schwert wieder an die Wand.
Und so ging es weiter. Vashet nahm die Schwerter prüfend in die Hand und hängte sie meist ohne ein Wort zu sagen gleich wieder auf. Sie gab mir drei weitere und ich musste bestimmte Übungen des Ketan ausführen, dann nahm sie sie mir wieder ab, ohne mich um meine Meinung zu fragen.
An der zweiten Wand ließ sie sich mehr Zeit. Sie reichte mir ein Schwert, das wie Penthes Schwert ein wenig gekrümmt war. Der Atem stockte mir, als ich sah, dass die Klinge aus demselben makellosen, grau schimmernden Metall bestand wie die von Vashets Schwert. Vorsichtig nahm ich es, aber es lag mir nicht gut in der Hand. Als ich es Vashet zurückgab, war ihr die Erleichterung deutlich anzumerken.
Vashet suchte weiter und warf Shehyn hin und wieder einen verstohlenen Blick zu. Sie hatte dann nicht mehr viel mit meiner selbstbewussten, durch nichts zu erschütternden Lehrerin gemein, sondern wirkte eher wie eine junge Frau, die sich sehnlichst einen Rat wünscht. Doch Shehyn verzog keine Miene und schwieg.
Schließlich kam Vashet zur
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