Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Erholungspausen nach einem Sturz abgesehen. Bis dahin hatte jeder Augenblick unseres Zusammenseins meinen Übungen gegolten.
»Heute Abend«, sagte ich schließlich, »meinte Penthe, ich hätte wohl einen schönen Zorn und sie würde ihn gerne mit mir teilen.«
Vashet kicherte. »Das hat aber nicht lange gedauert.« Sie sah mich wissend an. »Was ist passiert?«
Ich wurde ein wenig rot. »Äh, sie … hat mich daran erinnert, dass Körperkontakt bei den Adem nicht als etwas besonders Intimes gilt.«
Vashets Lächeln wurde geradezu lüstern. »Sie hat dich gepackt, ja?«
»Fast hätte sie es«, sagte ich. »Aber ich bin inzwischen schneller als noch vor einem Monat.«
»Ich glaube nicht, dass du schneller bist als Penthe«, erwiderte Vashet. »Sie will nur das Liebesspiel mit dir spielen. Es ist ganz harmlos.«
»Danach wollte ich dich fragen«, sagte ich langsam. »Ob es harmlos ist.«
Vashet hob die Augenbrauen und bekundete mit einer Geste
gelindes Erstaunen.
»Ich mag Penthe sehr«, sagte ich vorsichtig. »Aber du und ich, wir hatten …« Ich suchte nach einem Wort. »Wir waren intim.«
Vashet begriff, was ich meinte, und sie lachte wieder. »Du meinst, wir hatten Sex miteinander. Aber das intime Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler geht weit darüber hinaus.«
»Ja«, sagte ich erleichtert, »ich hatte mir schon so etwas gedacht, wollte aber sichergehen.«
Vashet schüttelte den Kopf. »Ich hatte ganz vergessen, wie das bei euch Barbaren ist«, sagte sie. In ihrer Stimme schwang Nachsicht. »Ich musste das alles auch meinem Dichterkönig erklären, aber das ist schon so viele Jahre her.«
»Du wärst also nicht gekränkt, wenn ich …« Ich machte eine vage Bewegung mit meiner verbundenen Hand.
»Du bist jung und voller Kraft«, sagte sie. »So etwas ist gesund für dich. Warum sollte ich gekränkt sein? Gehört dein Liebesspiel auf einmal mir, dass ich böse sein müsste, wenn du es mit jemand anderem spielst?«
Vashet brach ab, als sei ihr etwas anderes eingefallen. Sie sah mich an. »Oder bist etwa
du
gekränkt, weil ich die ganze Zeit über auch mit anderen Männern geschlafen habe?« Sie betrachtete mich forschend. »Ich merke, dass dich das jetzt überrascht.«
»Stimmt«, gab ich zu. Ich nahm rasch eine geistige Bestandsaufnahme vor und stellte zu meiner Überraschung fest, dass ich mir meiner Gefühle gar nicht sicher war. »Ich habe das Gefühl, ich sollte eigentlich gekränkt sein«, sagte ich schließlich. »Aber ich glaube nicht, dass ich es bin.«
Vashet nickte anerkennend. »Das ist ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass du allmählich gesittet wirst. Das alte Gefühl wurde dir anerzogen. Es ist wie ein altes Hemd, das nicht mehr passt. Und wenn du es jetzt genauer betrachtest, siehst du, dass es von Anfang an hässlich war.«
Ich zögerte. »Nur aus Neugier«, sagte ich, »mit wieviel anderen hast du es getan, seit wir zusammen sind?«
Die Frage schien Vashet zu überraschen. Sie schürzte die Lippen und blickte lange zum Himmel auf, dann zuckte sie mit den Schultern. »Mit wievielen Leuten habe ich seitdem gesprochen? Mit wievielengekämpft? Wie oft habe ich gegessen oder meinen Ketan geübt? Wer zählt so etwas?«
»Und die meisten Adem empfinden genauso?« Ich war froh darüber, endlich diese Fragen stellen zu können. »Dass das Liebesspiel nichts Intimes ist?«
»Natürlich ist es etwas Intimes«, erwiderte Vashet. »Alles, was zwei Menschen so eng zusammenbringt, ist intim. Ein Gespräch, ein Kuss, ein Flüstern. Sogar Kämpfen ist etwas Intimes. Aber das Liebesspiel ist für uns nichts Abartiges, nichts, dessen wir uns schämen würden. Und wir wollen niemanden für uns allein besitzen wie ein Geizhals, der einen Schatz hortet.« Sie schüttelte den Kopf. »Vor allem durch diese seltsame Vorstellung unterscheidet ihr Barbaren euch von uns.«
»Aber was ist dann noch romantisch?«, fragte ich ein wenig empört. »Wo bleibt die Liebe?«
Vashet lachte wieder, diesmal lange und von Herzen. Die Hügel warfen das Echo zurück, halb Haert musste es hören.
»Ihr Barbaren«, sagte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ich hatte ganz vergessen, wie rückständig ihr seid. Mein Dichterkönig war genauso. Er brauchte lange und hatte große Mühe, die Wahrheit zu erkennen: dass nämlich ein großer Unterschied besteht zwischen einem Penis und einem Herzen.«
Kapitel 125
Caesura
B eim Aufwachen am nächsten Tag dröhnte mir der Kopf. Nicht dass ich so viel
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