Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
führen unweigerlich zu einem langen Siechtum und dann zum Tod. Ein geschickter Arzt hätte mit den entsprechenden Instrumenten zwar einiges ausrichten können, aber ich war meilenweit von jeder Zivilisation entfernt. Genauso gut konnte ich mir ein Stück vom Mond wünschen.
Ich wischte mein Schwert ab, setzte mich in das nasse Gras vor dem Zelt und dachte nach.
Kapitel 132
Der unterbrochene Kreis
A ls die Sonne endlich über den Wipfeln der Bäume aufging und der Tau auf dem Gras verdunstete, war ich bereits seit einer Stunde rastlos tätig. Ich hatte mir einen flachen Stein als provisorischen Amboss gesucht und hämmerte auf ein Reservehufeisen ein, das eine andere Form bekommen sollte. Über dem Feuer kochte ein Topf Haferbrei.
Ich legte gerade letzte Hand an das Hufeisen, da sah ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Krin lugte um die Ecke des Wagens. Wahrscheinlich hatte ich sie mit meinen Hammerschlägen aufgeweckt.
»Oh mein Gott.« Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund und kam ein paar Schritte hinter dem Wagen hervor. »Du hast sie getötet.«
»Ja«, sagte ich nur. Meine Stimme hörte sich vollkommen leblos an.
Krin mustert mich und starrte dann mein zerrissenes Hemd an. »Bist du …« Die Frage blieb ihr im Hals stecken und sie schluckte. »Ist es schlimm?«
Ich schüttelte stumm den Kopf. Als ich endlich den Mut aufgebracht hatte, die Wunde zu untersuchen, hatte ich festgestellt, dass Felurians Mantel mir das Leben gerettet hatte. Alleg hatte mir mit seinem Messer nicht den Bauch aufgeschlitzt, sondern nur einen langen, nicht besonders tiefen Schnitt quer über den Unterleib zugefügt. Außerdem hatte er ein noch in jeder Beziehung gutes Hemd ruiniert, wobei sich mein Kummer darüber in Anbetracht der Gesamtlage in Grenzen hielt.
Ich betrachtete das Hufeisen prüfend und band es mit einem feuchten Lederriemen fest an das Ende eines langen, geraden Astes. Dann nahm ich den Topf mit dem Haferbrei vom Feuer und stieß das Hufeisen in die glühenden Kohlen.
Krin, die sich offenbar ein wenig von ihrem Schreck erholt hatte, kam langsam näher und betrachtete die Leichen auf der anderen Seite des Feuers. Ich hatte sie lediglich in einer Reihe nebeneinander abgelegt. Sie waren voller Blut und klaffender Wunden und boten keinen schönen Anblick. Krin starrte sie ängstlich an, als könnten sie jederzeit zum Leben erwachen.
»Was machst du da?«, fragte sie schließlich.
Als Antwort zog ich das inzwischen heiße Hufeisen aus der Glut und näherte mich der ersten Leiche, der von Tim. Ich drückte das heiße Eisen auf den Rücken seiner verbliebenen Hand. Die Haut zischte und qualmte und blieb an dem Eisen hängen. Ich zog es wieder weg. Auf der weißen Haut blieb ein schwarz verbranntes Mal zurück, ein unterbrochener Kreis. Ich kehrte zum Feuer zurück und erhitzte das Hufeisen erneut.
Krin stand nur stumm da, zu verwirrt, um normal zu reagieren. Vermutlich gibt es auf eine solche Situation keine normale Reaktion. Sie schrie jedenfalls nicht und rannte auch nicht weg, wie ich ziemlich sicher erwartet hatte, sondern starrte nur den unterbrochenen Kreis an und wiederholte schließlich: »Was machst du da?«
Als ich ihr endlich antwortete, klang meine Stimme für mich selbst fremd. »Die Edema Ruh bilden alle eine Familie«, sagte ich, »eine Art geschlossenen Kreis. Dabei spielt es keine Rolle, dass wir einander nicht alle kennen, wir sind trotzdem eine geschlossene Familie. Das muss so sein, denn wir sind sonst überall Fremde. Wir leben weit verstreut, und man hasst uns. Wir haben Gesetze, Regeln, denen wir folgen. Wenn einer von uns etwas tut, für das es keine Entschuldigung gibt und keine Wiedergutmachung, wenn er die Sicherheit oder Ehre der Edema Ruh gefährdet, wird er getötet und mit dem unterbrochenen Kreis gebrandmarkt zum Zeichen dafür, dass er nicht mehr zu uns gehört. Dazu kommt es allerdings selten, weil es selten notwendig ist.«
Ich zog das Eisen aus dem Feuer und ging zur nächsten Leiche. Otto. Ich drückte ihm den Stempel auf den Handrücken und hörtezu, wie es zischte. »Diese Menschen waren keine Edema Ruh, sie taten nur so. Sie haben Dinge getan, die kein Edema tun würde, deshalb sorge ich jetzt dafür, dass jeder weiß, dass sie nicht zu uns gehören. Die Ruh tun nicht, was diese Menschen getan haben.«
»Aber die Wagen«, protestierte Krin, »und die Instrumente.«
»Sie waren keine Ruh«, beharrte ich. »Wahrscheinlich waren sie nicht einmal fahrende
Weitere Kostenlose Bücher