Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
von Osten her brach die Dämmerung ein. Gegen Mittag hatten wir Pause gemacht und etwas gegessen, danach war ich wie in Trance weitermarschiert. Ich war hundemüde.
»Ich heiße Kvothe, Krin. Danke, dass du mich am Ellbogen gezogen hast. Ich war in Gedanken anderswo.«
Krin sammelte Holz und machte Feuer. Ich sattelte die Pferde ab, rieb sie trocken und gab ihnen zu fressen. Anschließend baute ich noch das Zelt auf. Unter anderen Umständen hätte ich es nicht mitgenommen, aber auf den Pferden war noch Platz dafür gewesen, und die Mädchen waren es wahrscheinlich nicht gewohnt, unter freiem Himmel zu schlafen.
Als ich mit dem Zelt fertig war, fiel mir ein, dass ich nur eine zusätzliche Decke aus den Beständen der Truppe dabei hatte. Soweit ich es aber beurteilen konnte, würde es eine kalte Nacht werden.
»Essen ist fertig«, hörte ich Krin rufen. Ich warf meine Decke und die zweite Decke ins Zelt und kehrte zum Feuer zurück. Krin hatte aus den verfügbaren Zutaten das Beste gemacht: Kartoffelsuppe mit Speck und geröstetem Brot. Außerdem entdeckte ich auf dem Feuer auch noch einen grünen Sommerkürbis.
Ellie machte mir Sorgen. Sie war den ganzen Tag wie in Trance neben uns hermarschiert, ohne etwas zu sagen oder auf eine an sie gerichtete Bemerkung von Krin oder mir zu reagieren. Zwar folgte sie mit den Augen verschiedenen Dingen, aber dahinter war kein Gedanke zu erkennen. Krin und ich hatten zu unserem Leidwesen beide feststellen müssen, dass sie, wenn wir sie sich selbst überließen, stehen blieb oder einfach die Straße verließ, wenn etwas ihre Aufmerksamkeit erregte.
Krin gab mir Teller und Löffel, und ich setzte mich. »Das riecht aber gut«, lobte ich.
Sie lächelte kaum merklich und füllte einen zweiten Teller für sich selbst. Sie wollte schon einen dritten füllen, zögerte dann aber. Ellie konnte nicht selbst essen.
»Möchtest du etwas Suppe, Ellie?«, fragte ich in einem ganz normalen Tonfall. »Sie riecht gut.«
Ellie saß unbewegt am Feuer und starrte ins Leere.
»Willst du vielleicht bei mir mitessen?«, fragte ich, als sei das die natürlichste Sache der Welt. Ich rückte näher zu ihr und blies auf einen Löffel Suppe, um ihn abzukühlen. »Bitte sehr.«
Ellie aß mechanisch und drehte den Kopf ein wenig in meine Richtung, dem Löffel zu. In ihren Augen spiegelten sich die tanzenden Flammen des Feuers. Sie kamen mir vor wie Fenster eines leeren Hauses.
Ich blies auch auf den nächsten Löffel und hielt ihn dem blonden Mädchen hin. Sie öffnete den Mund erst, als der Löffel ihre Lippen berührte. Ich bewegte den Kopf, um an den tanzenden Flammen in ihren Augen vorbeizusehen. Was war dahinter?
»Dich nennt man doch bestimmt Ell, nicht wahr?«, fragte ich beiläufig. Ich sah Krin an. »Als Kurzform für Ellie?«
Krin zuckte ratlos die Achseln. »Wir waren nicht befreundet. Ich kenne sie nur als Ellie Anwater, die Tochter des Bürgermeisters.«
»Heute sind wir lange marschiert«, fuhr ich im selben ruhigen Ton fort. »Wie geht es deinen Füßen, Krin?«
Krin sah mich mit ihren ernsten, dunklen Augen unverwandt an. »Sie tun ein wenig weh.«
»Mir tun meine auch weh. Ich freue mich schon darauf, die Schuhe auszuziehen. Tun dir die Füße auch weh, Ell?«
Keine Reaktion. Ich schob ihr wieder einen Löffel in den Mund.
»Außerdem war es ziemlich heiß. Heute Nacht müsste es allerdings abkühlen. Gutes Wetter zum Schlafen. Haben wir nicht Glück, Ell?«
Wieder keine Reaktion. Krin sah mich weiter von der anderen Seite des Feuers an. Ich aß selber einen Löffel Suppe. »Die schmeckt wirklich gut, Krin«, sagte ich aufrichtig, dann wandte ich mich wiederan das Mädchen mit dem leeren Blick. »Wirklich gut, dass wir Krin zum Kochen dabeihaben, Ell. Was ich koche, schmeckt immer wie Pferdemist.«
Krin musste mit dem Mund voller Suppe lachen, was natürlich schief ging. Ich meinte eine kurzes Flackern in Ells Augen zu sehen. »Wenn ich Pferdeäpfel hätte, könnte ich uns zum Nachtisch einen Pferdeapfelkuchen machen«, bot ich an. »Wenn du willst, gleich heute Abend …« Ich verstummte und ließ es wie eine Frage klingen.
Auf Ellies Stirn erschien eine kleine Falte.
»Du hast recht«, sagte ich. »Das würde nicht gut schmecken. Willst du stattdessen lieber noch etwas Suppe?«
Ein kaum merkliches Nicken. Ich gab ihr einen Löffel.
»Sie ist ein wenig salzig. Du willst wahrscheinlich Wasser dazu.«
Wieder ein Nicken. Ich reichte ihr den Wasserschlauch, und sie
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