Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
sah Krin an. Aus ihren nassen Augen sprach dieselbe Furcht, im Unterschied zu Ell allerdings auch Zorn.
»Wer das denkt, ist ein Dummkopf«, sagte ich mit aller Überzeugung, die ich aufbieten konnte. »Und ihr beide seid viel zu klug und zu schön, als dass ihr Dummköpfe heiraten würdet.«
Das schien auch Ellie zu beruhigen. Sie musterte mich, wie um sich zu vergewissern, dass sie mir glauben konnte.
»Stimmt doch«, sagte ich. »Und ihr könnt ja nichts dafür. Das dürft ihr in den nächsten Tagen nicht vergessen.«
»Ich hasse Männer!«, rief Ellie in einer plötzlichen Zornesaufwallung. »Ich hasse sie!« Sie umklammerte die Zügel des Apfelschimmels, dass die Knöchel ihrer Hand weiß hervortraten, ihr Gesicht war dabei vor Wut verzerrt. Krin legte den Arm um sie, aber als sie dann mich ansah, bemerkte ich in ihren dunklen Augen denselben Zorn.
»Dazu hast du alles Recht«, sagte ich so wütend und hilflos wie nie zuvor in meinem Leben. »Aber ich bin auch ein Mann. Wir sind nicht alle so.«
So standen wir noch eine Weile da, nur eine halbe Meile vom Dorf entfernt. Zur Beruhigung unserer Nerven tranken wir einen Schluck Wasser und aßen einen Bissen Brot. Dann brachte ich die beiden vollends nach Hause.
Kapitel 135
Ankunft im Dorf
L evinshir war keine große Ortschaft. Etwa zweihundert Menschen lebten dort, vielleicht auch dreihundert, wenn man die umliegenden Bauernhöfe mit einrechnete. Bei unserer Ankunft war Essenszeit, und die unbefestigte Straße, die das Dorf teilte, war leer und verlassen. Ellie sagte, sie wohne auf der anderen Seite der Ortschaft. Ich hoffte, dass uns auf dem Weg dorthin niemand sehen würde. Die beiden Mädchen waren erschöpft und verstört, und ein Publikum klatschsüchtiger Nachbarn war das Letzte, was sie brauchten.
Aber es sollte nicht sein. Auf halbem Weg durch den Ort sah ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung in einem Fenster.
»Ell!«,
rief eine Frauenstimme, und nur wenige Augenblicke später kamen aus sämtlichen Türen Menschen heraus.
Die Frauen waren schneller als die Männer. Innerhalb einer Minute umringte etwa ein Dutzend von ihnen wie schützend die beiden Mädchen. Sie redeten, weinten und umarmten einander. Den Mädchen schien es nichts auszumachen. Vielleicht war es besser so. Ein herzliches Willkommen konnte ihre Genesung beschleunigen.
Die Männer hielten sich zurück, da sie wussten, dass sie in solchen Situationen nur störten. Die meisten sahen von der Haustür oder Treppe aus zu. Ein halbes Dutzend kam langsam auf der Straße näher. Es waren vorsichtige Menschen, Bauern und deren Freunde, die sich im Umkreis von zehn Meilen alle mit Namen kannten. In einer Ortschaft wie Levinshir gab es – mit Ausnahme von mir – keinen Fremden.
Keiner der Männer war ein naher Angehöriger der Mädchen. Und selbst wenn es so gewesen wäre, hätten sie doch gewusst, dass sienoch eine Stunde oder auch einen ganzen Tag warten mussten, bis sie mit ihnen sprechen konnten. Also überließen sie die Mädchen der Obhut ihrer Frauen und Schwestern. In Ermangelung einer anderen Beschäftigung wandten sie ihre Aufmerksamkeit den Pferden zu und dann mir.
Ich winkte einen etwa zehnjährigen Jungen zu mir. »Melde dem Bürgermeister, dass seine Tochter wieder da ist. Lauf!« Der barfüßige Junge rannte so schnell er konnte los und ließ eine Staubwolke hinter sich.
Die Männer näherten sich mir. Ihr angeborenes Misstrauen gegenüber Fremden war durch die jüngsten Ereignisse noch zehnfach verschärft worden. Ein zwölfjähriger Junge, der nicht so vorsichtig war wie die anderen, trat vor mich und betrachtete mein Schwert und meinen Mantel.
»Wie heißt du?«, fragte ich.
»Pete.«
»Kannst du reiten, Pete?«
Er sah mich gekränkt an. »Natürlich.«
»Weißt du, wo der Hof der Walkers liegt?«
Er nickte. »Am Mühlenweg zwei Meilen nördlich von hier.«
Ich trat zur Seite und reichte ihm die Zügel des Eisenschimmels. »Sag den Walkers, ihre Tochter ist wieder zu Hause. Sie sollen mit dem Pferd herkommen.«
Der Junge hatte sich bereits mit einem Bein hinaufgeschwungen, bevor ich ihm helfen konnte. Ich hielt die Zügel fest, während ich die Steigbügel kürzer schnallte, damit er unterwegs nicht herunterfiel.
»Wenn du es hin und zurück schaffst, ohne dir den Hals und meinem Pferd das Bein zu brechen, bekommst du einen Penny«, sagte ich.
»Dann bekomme ich zwei«, rief er.
Ich lachte und er wendete und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Die
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