Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Männer waren inzwischen noch näher gekommen und hatten sich in einem losen Kreis um mich versammelt.
Ein hochgewachsener Mann mit schütterem Haar, finsterem Gesicht und grauem Bart schien sich als Anführer der Gruppe zu verstehen. »Wer bist du?«, fragte er. Sein Ton sprach eine deutlichere Sprache als seine Worte.
Wer zum Teufel bist du?
»Kvothe«, antwortete ich freundlich. »Und du?«
»Wüsste nicht, was dich das angeht«, knurrte der Mann. »Was hast du hier zu suchen?«
Was zum Teufel hast du mit unseren beiden Mädchen angestellt?
»Mein Gott, Seth«, fiel ein älterer Mann ein, »du hast so wenig Benehmen wie ein Hund. So redet man doch nicht mit …«
»Komm mir nicht damit, Benjamin«, gab der Mann mit dem finsteren Gesicht unwillig zurück. »Wir haben ein Recht darauf zu wissen, wer er ist.« Er wandte sich wieder an mich und trat einige Schritte vor die anderen. »Bist du einer von diesen elenden Schauspielern, die letzte Woche hier waren?«
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, ganz harmlos auszusehen. »Nein.«
»Ich glaube schon. Für mein Gefühl siehst du wie einer von diesen Ruh aus. Du hast dieselben Augen.« Die anderen Männer reckten die Hälse, um mein Gesicht besser sehen zu können.
»Mein Gott, Seth«, mischte sich der Ältere wieder ein. »Von denen hatte doch keiner rote Haare. An solche Haare erinnert man sich doch. Er gehört nicht dazu.«
»Und warum sollte ich die Mädchen zurückbringen, wenn ich einer ihrer Entführer wäre?«, gab ich zu bedenken.
Die Miene des Mannes wurde noch finsterer, und er kam noch einen Schritt näher. »Willst du frech werden, Junge? Glaubst du, wir sind hier alle Dummköpfe? Vielleicht erhoffst du dir ja eine Belohnung, wenn du sie zurückbringst, oder dass wir dir nicht noch jemanden auf den Hals hetzen.« Er war fast auf Armeslänge herangekommen und starrte mich wütend an.
Ich sah mich um. Aus den Gesichtern der anderen Männer blickte mir derselbe Zorn entgegen, ein Zorn, wie er in den Herzen braver Männer wächst, die Gerechtigkeit wollen und, wenn das nicht geht, Rache.
Ich überlegte angestrengt, wie ich sie besänftigen könnte, doch noch ehe ich zu einem Ergebnis gekommen war, hörte ich Krin hinter mir erregt rufen: »Lass ihn in Ruhe, Seth!«
Seth, der schon angriffslustig die Hände gehoben hatte, hielt inne. »Also …«
Aber da eilte Krin schon zu ihm. Die Frauen ließen sie durch und folgten ihr. »Er hat uns gerettet, Seth«, rief sie wütend. »Du Esel! Idiot! Er hat uns doch gerettet! Wo wart ihr denn? Warum habt ihr uns nicht befreit?«
Seth trat von mir zurück und auf seinem Gesicht mischten sich Wut und Scham. Die Wut gewann die Oberhand. »Wir haben es ja versucht«, rief er empört. »Als wir gemerkt haben, was passiert ist, sind wir sofort aufgebrochen. Aber die haben das Pferd unter Bil weggeschossen, und Bil hat sich das Bein zerquetscht. Jim hat einen Stich in den Arm bekommen, und den alten Cupper haben sie so verprügelt, dass er immer noch bewusstlos ist. Sie hätten uns fast umgebracht.«
Ich sah mich erneut um und begriff, was der eigentliche Grund für den Zorn in den Gesichtern der Männer war: ihre Hilflosigkeit und dass sie das Dorf nicht vor den Übergriffen der falschen Schauspieler hatten schützen können. Sie schämten sich, weil sie die Töchter ihrer Freunde und Nachbarn nicht befreit hatten.
»Dann habt ihr euch nicht genug angestrengt!«, rief Krin. Ihre Augen blitzten. »Aber er hier hat uns befreit, weil er ein richtiger Mann ist. Im Unterschied zu euch, ihr hättet uns verrecken lassen!«
Ein etwa siebzehnjähriger Bursche links von mir konnte seine Wut nicht mehr bezähmen. »Das wäre doch alles gar nicht passiert, wenn Ellie sich nicht wie eine Hure aufgeführt hätte!«
Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich ihm schon den Arm gebrochen. Er sackte schreiend zu Boden.
Ich zog ihn am Kragen wieder hoch. »Wie heißt du?«, herrschte ich ihn an.
»Mein Arm!«, stöhnte er. In seinen Augen war das Weiße zu sehen.
Ich schüttelte ihn wie eine Stoffpuppe. »Name!«
»Jason«, japste er. »Mein Gott, mein Arm …«
Ich fasste ihn mit meiner freien Hand am Kinn und drehte sein Gesicht zu Krin und Ellie. »Jason«, zischte ich ihm leise ins Ohr. »Schau dir diese Mädchen an. Stell dir vor, durch welche Hölle sie inden vergangenen Tagen gegangen sind, als sie an Händen und Füßen gefesselt in einem Wagen lagen. Und dann überleg dir, was schlimmer ist: sich den Arm zu
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