Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
dachte, es gäbe am Hof nur drei Arten von Ringen«, sagte ich.
»Nur drei, die man verwendet«, erwiderte Bredon. »Die man sich schickt und zur Schau stellt. Früher ließ man mit einem hölzernen Ring Diener kommen. Aber das ist lange her. Später galt es als schreckliche Kränkung, jemandem bei Hof einen solchen Ring zu schicken.«
»Mit einer Kränkung kann ich leben«, sagte ich erleichtert. »Mich haben schon Bessere gekränkt als Meluan.«
»Aber das ist auch schon hundert Jahre her«, wandte Bredon ein. »Inzwischen gilt es nicht mehr. Sobald nämlich die hölzernen Ringe als Kränkung galten, fühlten sich auch einige Diener durch sie gekränkt. Niemand will aber seinen Stallmeister kränken, also schickt man ihm keinen hölzernen Ring. Wenn aber er keinen mehr bekommt, dann ist auch dein Schneider durch einen solchen Ring gekränkt.«
Ich sagte nachdenklich: »Und so weiter, bis zuletzt alle gekränkt sind.«
Bredon nickte. »Ein kluger Mensch hält sich seine Diener gewogen. Sogar der Bote, der dir das Essen bringt, kann einen Groll gegen dich hegen, und noch dem geringsten Diener stehen tausend unsichtbare Möglichkeiten der Rache zur Verfügung. Hölzerne Ringe werden inzwischen überhaupt nicht mehr verwendet. Wahrscheinlich wären sie vollkommen vergessen, wenn sie nicht in einigen Theaterstücken noch eine Rolle spielten.«
Ich betrachtete den Ring. »Ich bin also weniger wert als der Diener, der die Nachttöpfe leert.«
Bredon räusperte sich verlegen. »Sogar viel weniger.« Er zeigte auf den Ring. »In ihren Augen bist du nicht einmal eine Person und verdienst es nicht, Mensch genannt zu werden.«
»Aha«, sagte ich. »So ist das also.«
Ich steckte mir den Ring auf den Finger und ballte die Hand zur Faust. Er passte übrigens gut.
»Man trägt so einen Ring nicht«, sagte Bredon unbehaglich. »Ganz im Gegenteil.« Er sah mich neugierig an. »Du hast Alverons Ring wahrscheinlich nicht mehr?«
»Er hat ihn zurückgefordert.« Ich nahm den Brief des Maer vom Tisch und gab ihn ebenfalls Bredon.
»Zum frühestmöglichen Zeitpunkt«, las Bredon vor und lachte trocken. »Das sagt einiges.« Er senkte den Brief. »Trotzdem ist es wahrscheinlich besser so. Wenn er dich bleiben ließe, würden die beiden ihren Streit auf deinem Rücken austragen. Du wärst das Pfefferkorn zwischen ihrem Mörser und seinem Stößel, und sie würden dich im Zank zermahlen.«
Sein Blick kehrte zu dem hölzernen Ring an meiner Hand zurück. »Sie hat ihn dir vermutlich nicht persönlich überreicht?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Sie schickte ihn durch einen Boten.« Ich seufzte leise. »Die Wachen haben ihn auch gesehen.«
Es klopfte. Ich machte auf, und ein Laufbote übergab mir einen Brief.
Ich schloss die Tür und betrachtete das Siegel. »Von Lord Praevek.«
Bredon schüttelte den Kopf. »Ich schwöre, dieser Mann ist jeden wachen Moment seines Lebens damit beschäftig, an einem Schlüsselloch zu lauschen oder jemandem in den Hintern zu kriechen.«
Ich grinste, riss den Brief auf und überflog ihn. »Auch er will seinen Ring zurück«, sagte ich. »Die Tinte ist verschmiert, er hat sie nicht einmal trocknen lassen.«
Bredon nickte. »Die Neuigkeit breitet sich aus. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn Meluan nicht einen so starken Einfluss auf Alveron hätte. Doch den hat sie, und sie hat ihre Meinung klar ausgedrückt. Wer dich besser als einen Hund behandelt, fällt der Verachtung anheim, die sie für dich empfindet. Und mit einer solchen Verachtung ist nicht zu spaßen.«
Bredon zeigte auf die Schale mit den Ringen und ließ ein trockenes, freudloses Lachen hören. »Wo du doch gerade die ersten silbernen Ringe bekommen hast.«
Ich ging zu der Schale, suchte seinen Ring heraus und hielt ihn ihm hin. »Auch Ihr solltet den Euren zurücknehmen.«
Bredon sah mich gequält an, machte aber keine Anstalten, den Ring zu nehmen.
»Ich werde bald abreisen«, sagte ich. »Und es wäre mir ein schrecklicher Gedanke, wenn Euch durch den Umgang mit mir Nachteile entstünden. Ich kann Euch gar nicht genug für Eure Hilfe danken, aber ich kann wenigstens dazu beitragen, den Schaden für Euren Ruf möglichst gering zu halten.«
Bredon zögerte, schloss die Augen und seufzte. Mit einem resignierten Schulterzucken nahm er den Ring.
»Halt«, sagte ich, denn mir war plötzlich noch etwas anderes eingefallen. Ich ging zu dem Stapel mit Klatschgeschichten und zog dieSeiten heraus, auf denen das heidnische
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