Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
vollends zu Eis. Doch bevor sie etwas sagen konnte, fragte Alveron ungläubig: »Und du hast sie eigenmächtig getötet? Eine ganze Truppe Schauspieler, die unter meinem Schutz standen?« Er rieb sich die Stirn. »Wie viele waren es?«
»Neun.«
»Großer Gott …«
»Ich finde, er hat richtig gehandelt«, sagte Meluan heftig. »Ich schlage vor, du gibst ihm ein Dutzend Leibwächter mit, und er soll mit allen Truppen der Ruh, die er auf deinen Ländern findet, genauso verfahren.«
»Die Ruh kümmern mich so wenig wie dich, meine Liebe«, erwiderte Alveron etwas strenger, »aber Gesetz ist Gesetz. Wenn …«
»Gesetz ist, was du daraus machst«, fiel Meluan ihm ins Wort. »Dieser Mann hat dir einen großen Dienst erwiesen. Du solltest ihn mit Titel und Lehen belohnen und in deinen Rat aufnehmen.«
»Er hat neun meiner Untertanen getötet«, entgegnete Alveron streng. »Wenn sich Menschen außerhalb des Gesetzes stellen, ist Anarchie die Folge. Wenn ich von dieser Angelegenheit von anderen erfahren hätte, hätte ich Kvothe als Banditen aufknüpfen lassen.«
»Er hat neun Ruh getötet, neun Vergewaltiger, Mörder und Diebe. Neun Ruh weniger auf der Welt, davon profitieren wir alle.« Meluan sah mich an. »Ich glaube, was du getan hast, war richtig und angemessen.«
Ihr auf einer falschen Annahme beruhendes Lob machte mich wütend. »Nicht alle waren Männer, gnädige Frau«, sagte ich.
Meluan erbleichte ein wenig.
Alveron rieb sich das Gesicht. »Du meine Güte, Kvothe, du schlägst mit deiner Aufrichtigkeit zu wie mit einer Axt.«
»Außerdem«, fuhr ich ernst fort, »sollte ich mit Verlaub noch erwähnen, dass die Getöteten keine Edema Ruh waren, nicht einmal fahrende Schauspieler.«
Alveron schüttelte müde den Kopf und klopfte mit dem Finger auf das Pergament. »Hier steht etwas anderes. Hier ist von Edema Ruh und Schauspielern die Rede.«
»Der Schutzbrief wurde gestohlen, Euer Gnaden. Die Leute, denen ich auf der Straße begegnete, hatten eine Truppe von Ruh ermordet und ihren Platz eingenommen.«
Der Maer musterte mich neugierig. »Du scheinst dir dessen ja sehr sicher zu sein.«
»Einer von ihnen sagte es mir, Euer Gnaden. Er gab zu, dass sie nur so tun würden, als seien sie Schauspieler. Sie gaben vor, Ruh zu sein.«
Meluan schien zwischen Verwirrung und Verständnislosigkeit hin- und hergerissen. »Warum sollten sie das tun?«
Alveron nickte. »Meine Frau hat recht. Wahrscheinlich haben sie dich angelogen. Das will doch niemand sein. Wer würde sich freiwillig als ein Edema Ruh ausgeben?«
Mir wurde innerlich ganz heiß, und ich schämte mich plötzlich, dass ich mich bisher nicht zu meiner Zugehörigkeit zu den Edema Ruh bekannt hatte. »Ich bezweifle nicht, dass die ursprünglichen Schauspieler Eurer Truppe Edema Ruh waren, Euer Gnaden. Aber die Banditen, die ich getötet habe, waren keine. Kein Ruh würde tun, was sie getan haben.«
In Meluans Augen trat ein wütendes Funkeln. »Du kennst sie nicht.«
Ich erwiderte ihren Blick. »Ich glaube, ich kenne sie sehr gut, gnädige Frau.«
»Aber warum?«, fragte Alveron. »Warum sollte sich ein normaler Mensch als Edema Ruh ausgeben?«
»Weil es das Reisen erleichtert«, sagte ich. »Und weil Euer Name ihn schützt.«
Alveron tat meine Erklärung mit einem Schulterzucken ab. »Deine Banditen waren wahrscheinlich Ruh, die es leid waren, ehrlich zu arbeiten, und sich lieber als Diebe betätigten.«
»Nein, Euer Gnaden«, beharrte ich. »Sie waren keine Edema Ruh.«
Alveron sah mich vorwurfsvoll an. »Also bitte, wer könnte zwischen Banditen und einer Truppe von Ruh unterscheiden?«
»Es gibt keinen Unterschied«, warf Meluan beißend ein.
»Ich kann es, Euer Gnaden«, sagte ich heftig. »Ich bin selbst ein Edema Ruh.«
Schweigen. Auf Meluans Gesicht malten sich nacheinander Fassungslosigkeit, Unglaube, Empörung und Abscheu. Sie stand auf, sah einen Moment lang so aus, als wollte sie mich anspucken, und rauschte dann hinaus. Aus dem Vorzimmer ertönte ein Rasseln. Ihr Leibwächter hatte Haltung angenommen und folgte ihr nach draußen.
Alveron starrte mich mit finsterem Gesicht an. »Wenn das ein Scherz sein soll, dann war es ein schlechter.«
»Es ist keiner, Euer Gnaden«, antwortete ich, meinen Zorn niederkämpfend.
»Und warum hast du es bisher für notwendig gehalten, mir das zu verheimlichen?«
»Ich habe es Euch nicht verheimlicht, Euer Gnaden. Ihr habt selbstwiederholt gesagt, dass ich keineswegs von vornehmer Abstammung
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