Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Worte vernehmen, die ich für dich gedichtet habe. Solange ich nicht gehe und die Früchte koste, die sterbliche Frauen zu bieten haben, werde ich nie wissen, was du wirklich kannst.
Inmitten der vielen Kissen und unter dem ewigen Dämmerhimmel sahen Felurian und ich uns an. Auf ihrer Hand saß ein Schmetterling, meine Hand lag auf dem glatten Holz der Laute. Zwei schwerbewaffnete Ritter hätten sich über ein blutiges Schlachtfeld hinweg nicht grimmiger anstarren können.
»wenn du gehst, wirst du das lied zu ende schreiben?« Felurian sprach langsam und abwägend. Ich setzte eine überraschte Miene auf, konnte sie aber nicht täuschen. Also nickte ich nur. »kommst du dann zurück und singst es mir vor?«
Diesmal war meine Überraschung echt. Mit diesem Wunsch hatte ich nicht gerechnet. Ich wusste, dass sie mich kein zweites Mal freigeben würde. Deshalb zögerte ich, aber nur einen kurzen Moment. Es war immerhin besser als nichts. Ich nickte.
»versprichst du es?« Wieder nickte ich. »mit einem kuss?« Sie schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken wie eine Blume, die sich von der Sonne bescheinen lässt.
Das Leben ist zu kurz, um ein solches Angebot auszuschlagen. Ich kroch zu ihr, zog ihren nackten Leib an mich und küsste sie so gut, wie meine beschränkte Erfahrung es mir erlaubte. Felurian schien es zu genügen.
Als ich mich wieder löste, blickte sie zu mir auf und seufzte. »deine küsse sind wie schneeflocken auf meinen lippen.« Sie sank in die Kissen zurück und legte den Kopf auf ihren Arm. Mit der freien Hand strich sie mir über die Wange.
Zu sagen, sie sei schön, wäre eine hoffnungslose Untertreibung gewesen. Erst jetzt merkte ich, dass sie in den vergangenen Minuten gar nicht versucht hatte, mein Verlangen nach ihr zu wecken, zumindest nicht mit übernatürlichen Mitteln.
Sie berührte meine Hand ganz leicht mit den Lippen und ließ sie wieder los. Dann lag sie nur da und sah mich eindringlich an.
Ich war geschmeichelt. Ich weiß bis heute nur eine Antwort auf eine so höfliche Einladung. Ich beugte mich zu ihr hinunter und küsste sie. Und sie schloss mich lachend in die Arme.
Kapitel 99
Zaubern einer anderen Art
Z u dieser Zeit meines Lebens hatte ich mir bereits einen gewissen Ruf erworben.
Nein, das stimmt eigentlich nicht. Ich sage lieber, ich hatte mir einen Ruf aufgebaut. Ich hatte zielstrebig darauf hingearbeitet und ihn stetig vermehrt.
Drei Viertel der Geschichten, die man sich an der Universität über mich erzählte, basierten auf albernen Gerüchten, die ich selbst in die Welt gesetzt hatte. Dass ich etwa acht Sprachen beherrschte oder im Dunkeln sehen könnte. Dass meine Mutter mich im Alter von drei Tagen bei Vollmond in einem Korb an einen Vogelbeerbaum gehängt und eine Fee einen mächtigen Zauber über mich gesprochen hätte, der mich immer beschützen würde. Und das hätte meine Augenfarbe von Blau zu Laubgrün verändert.
Ich weiß um die Wirkung von Geschichten. Niemand glaubte, dass ich bei einem Dämon eine Handvoll meines Blutes für einen Alar wie aus Stahl eingetauscht hatte. Trotzdem war ich der beste Duellant in Dals Seminar. An einem guten Tag konnte ich leicht zwei meiner Mitstudenten schlagen.
Dieser wahre Kern machte die Geschichten so wirkungsvoll. Auch wenn man sie selbst nicht glaubte, erzählte man sie vielleicht einem Studenten im ersten Trimester, nur um sich an seinem staunenden Gesicht zu weiden. Und wenn man ein Glas oder auch mehrere geleert hatte, geriet man womöglich selbst ins Grübeln …
Und so breiteten sich Gerüchte über mich aus und mein bescheidener Ruf wuchs, wenigstens im Umkreis der Universität.
Einige Gerüchte entsprachen auch der Wahrheit, und einen gewissenAnteil an meinem Ruf hatte ich mir redlich verdient. So hatte ich Fela aus einer Flammenhölle gerettet und war vor einer Zuschauermenge ausgepeitscht worden, ohne zu bluten. Ich hatte den Wind gerufen und Ambrose den Arm gebrochen …
Doch wusste ich, dass mein Ruf einem aus Spinnenfäden gewebten Mantel glich und größtenteils auf unsinnigen Märchen beruhte. Es gab weder Dämonen, die mit Blut handelten, noch gute Feen, die einen mit ihrer Zauberkraft beschützten. Und auch wenn ich manchmal so tat, wusste ich doch, dass ich nicht Taborlin der Große war.
Unter solchen Gedanken erwachte ich in Felurians Armen. Ich blieb noch eine Weile still liegen. Ihr Kopf ruhte leicht auf meiner Brust, eins ihrer Beine lag locker über meinen Beinen. Ich
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