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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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den steigenden Kuss. So viele verschiedene Arten des Küssens. Fast zu viele, um sie alle zu behalten. Aber nur fast.
    Ich lernte das Wasserholen vom Brunnen, die Flatterhand, das Morgendliche Vogelgezwitscher, das Umkreisen des Mondes, das Efeuspiel und die Hasenjagd. Allein die Namen würden ein Buch füllen, doch ist hier, denke ich, nicht der richtige Ort dafür. Schade drum.

     
    Ich will nicht den Eindruck erwecken, wir hätten die ganze Zeit nur mit unbeschwertem Liebesspiel verbracht. Natürlich war ich jung und Felurian unsterblich, aber auch wir hatten unsere körperlichen Grenzen. Die restliche Zeit amüsierten wir uns auf andere Art. Wir schwammen und aßen, ich spielte Felurian Lieder vor, und sie tanzte für mich.
    Ich fragte Felurian verschiedentlich nach ihren Zauberkünsten, aber vorsichtig, denn ich wollte sie nicht dadurch kränken, dass ich in ihren Geheimnissen herumschnüffelte. Leider waren ihre Antwortennicht besonders aufschlussreich. Zauberei war für sie etwas so Natürliches wie das Atmen. Genauso gut hätte ich einen Bauern fragen können, wie Samen keimen. Ihre Antworten waren entweder hoffnungslos nichtssagend oder vollkommen unverständlich.
    Trotzdem fragte ich weiter und sie antwortete, so gut sie es eben vermochte. Und gelegentlich meinte ich sogar etwas zu verstehen.
    Doch die meiste Zeit erzählten wir uns Geschichten. Wir hatten so wenig miteinander gemeinsam, dass wir uns eigentlich nur über Geschichten austauschen konnten.
    Man könnte meinen, ich sei Felurian in dieser Beziehung nicht ebenbürtig gewesen. Sie war älter als der Himmel, ich noch nicht einmal siebzehn.
    Doch Felurian war, was Geschichten anging, nicht die Quelle, für die man sie hätte halten können. Mächtig und schlau? Gewiss. Tatkräftig und schön? Ohne Einschränkung. Bloß das Geschichtenerzählen gehörte nicht zu ihren vielen Talenten.
    Ich andererseits war ein Edema Ruh, und die Edema Ruh kennen alle Geschichten der Welt.
    Ich erzählte Felurian also die Geschichte vom Geist und der kleinen Gänsehirtin und die von Tam und dem Spaten des Kesslers, außerdem Geschichten von Holzfällern, Witwentöchtern und schlauen Waisenjungen.
    Im Gegenzug erzählte Felurian mir Geschichten von allerlei komischen Gestalten, darunter »Die Hand am Herzen der Perle« und »Der Junge, der dazwischen kam«. Die Fae haben ihre eigenen Sagengestalten wie Mavin den Menschengestaltigen oder Alavin Allgesicht. Zu meiner Überraschung hatte Felurian noch nie von Taborlin dem Großen oder Oren Velciter gehört. Wer Illien war, wusste sie dagegen. Ich war sehr stolz darauf, dass ein Edema Ruh in die Geschichten eingegangen war, welche die Fae einander erzählen.
    Natürlich zog ich auch in Erwägung, dass Felurian mir womöglich Auskunft über die Amyr oder die Chandrian geben konnte. Und wie viel angenehmer wäre es gewesen, von ihr die Wahrheit zu erfahren, als mich endlos durch alte Bücher in staubigen Bibliotheken quälen zu müssen!
    Leider erwies sich Felurian nicht als die erhoffte Informationsquelle.Sie kannte zwar Geschichten über die Amyr, doch waren sie schon tausende Jahre alt.
    Als ich sie nach den Amyr der jüngeren Zeit fragte, nach Kirchenrittern und den Ciridae mit ihren blutigen Tätowierungen, lachte sie nur. »menschliche amyr gab es nie«, sagte sie sofort. »die amyr, von denen du sprichst, hören sich an wie kinder in den kleidern ihrer eltern.«
    Bei anderen hätte ich mit einer solchen Antwort gerechnet, von Felurian war sie besonders entmutigend. Immerhin war es interessant zu wissen, dass ich mit meiner Vermutung recht hatte, es müsste die Amyr schon lange gegeben haben, bevor sie Ritter der Tehlanerkirche wurden.
    Da ich mit den Amyr nicht weiterkam, lenkte ich das Gespräch auf die Chandrian.
    »nein«, sagte Felurian nur und sah mich entschieden an. »über die sieben spreche ich nicht.« Sie klang auf einmal überhaupt nicht mehr verspielt, sondern vollkommen ernst. Jede weitere Diskussion war zwecklos.
    Zum ersten Mal seit unserer Auseinandersetzung ganz am Anfang lief mir wieder ein kalter Angstschauer über den Rücken. Felurian sah so zart und anmutig aus, dass man zu leicht vergaß, wer sie in Wirklichkeit war.
    Trotzdem wollte ich das Thema nicht so leicht aufgeben. Schließlich bot sich mir hier eine buchstäblich einmalige Gelegenheit. Wenn ich Felurian überreden konnte, mir wenigstens einen Teil von dem zu erzählen, was sie wusste, würde ich womöglich Dinge erfahren, von denen

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