Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Ich sah immer noch mein Spiegelbild in ihren Augen, doch der Stern auf meiner Stirn war zu einem kleinen Fünkchen geschrumpft. Schließlich begann auch der durchdringende Blick meines schlummernden Bewusstseins nachzulassen. Verzweifelt sah ich mich um und versuchte mir alles einzuprägen.
Dann war alles verschwunden. Voller Kummer, und um meine Tränen zu verbergen, senkte ich den Kopf.
Kapitel 98
Felurians Lied
E s verging ein endloser Moment, bis ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte und den Kopf hob. Ein Zögern lag in der Luft, als seien wir ein junges Liebespaar und wüssten nicht, was als Nächstes von uns erwartet wurde und welche Rollen wir spielen sollten.
Ich griff nach meiner Laute und drückte sie an die Brust, wie man sich eine verwundete Hand hält, eine instinktive Bewegung. Gewohnheitsmäßig schlug ich einen Akkord an, dann denselben Akkord in Moll, als wollte die Laute sagen, sie sei traurig.
Ohne nachzudenken oder aufzublicken begann ich ein Lied zu spielen, das ich in den Monaten nach dem Tod meiner Eltern geschrieben hatte. Es hieß
Am Wasser sitzend in Erinnerungen verloren
. Traurig klang die Melodie durch die abendliche Stille. Erst nach einigen Minuten begriff ich, was ich tat, und noch einige weitere Minuten vergingen, bis ich aufhörte. Das Lied war noch nicht fertig. Ich weiß nicht, ob es überhaupt ein Ende hat.
Danach fühlte ich mich etwas besser, wenn auch noch keineswegs gut. Nicht mehr so leer. Meine Musik half mir immer. Solange ich sie hatte, konnte ich jede Last tragen.
Als ich aufblickte, sah ich Tränen auf Felurians Gesicht. Sie machten, dass ich mich meiner eigenen Tränen weniger schämte.
Außerdem erwachte wieder mein Begehren nach ihr. Zwar war es durch den Kummer in meiner Brust gedämpft, doch lenkte es meine Aufmerksamkeit auf mein unmittelbarstes Ziel: zu überleben und zu fliehen.
Felurian schien einen Entschluss gefasst zu haben und kam durchdie Kissen vorsichtig auf mich zu. In einiger Entfernung vor mir hielt sie an und hob den Blick.
»hat mein zärtlicher dichter einen namen?« Ihre Stimme klang so sanft, dass ich erschrak.
Ich wollte schon antworten, hielt aber inne. Der Mond fiel mir ein, der sich durch seinen Namen hatte einfangen lassen, und tausend Märchen, die ich als Kind gehört hatte. Wenn man Elodin glauben durfte, bildeten Namen das Gerüst der Welt. Ich zögerte kurz, doch dann machte ich mir klar, dass ich Felurian schon viel mehr gegeben hatte als meinen Namen.
»Ich heiße Kvothe.« Mir war, als spürte ich beim Klang meines Namens festen Boden unter den Füßen, als hätte ich wieder zu mir gefunden.
»kvothe.« Sie sagte es leise, und ihre Stimme erinnerte mich an den Ruf eines Vogels. »singst du noch ein süßes lied für mich?« Sie streckte ganz langsam die Hand aus, als fürchte sie, sich zu verbrennen, und legte sie leicht auf meinen Arm. »bitte. deine lieder sind wie eine liebkosung, mein kvothe.«
Sie sprach den Namen aus wie den Anfang eines Liedes, was mir sehr gefiel. Zugleich empfand ich freilich Unbehagen darüber, dass sie
mein
Kvothe sagte.
Lächelnd nickte ich, vor allem, weil mir nichts anderes einfiel. Ich schlug einige Akkorde an, stimmte die Laute und überlegte.
Dann spielte ich
Im Feenwald,
ein Lied ausgerechnet über Felurian. Es war zwar nicht besonders gut und bestand nur aus drei Akkorden und zwei Dutzend Wörtern, erzielte aber die gewünschte Wirkung.
Felurians Miene hellte sich auf, als sie ihren Namen hörte. Falsche Bescheidenheit kannte sie nicht. Sie wusste um ihre überragende Schönheit und ihre Fähigkeiten, sie wusste, was man über sie erzählte, und kannte ihren Ruf. Kein Mann konnte ihr widerstehen, keiner ihr standhalten. Am Ende des Lieds hatte sie sich vor lauter Stolz aufgerichtet.
»Willst du noch ein Lied hören?«, fragte ich.
Sie nickte eifrig und lächelte. Aufrecht wie eine Königin saß sie auf ihren Kissen.
Ich begann ein zweites Lied, das dem ersten ähnelte. Es hieß
Lady Fae
oder etwas in der Art. Ich wusste nicht, wer es geschrieben hatte, jedenfalls hatte er die schreckliche Angewohnheit, die Verse mit viel zu vielen Silben zu füllen. Es war nicht so schlecht, dass ich in einer Schenke deswegen ausgebuht worden wäre, aber fast.
Beim Spielen ließ ich Felurian nicht aus den Augen. Sie war geschmeichelt, aber ich spürte eine unterschwellig wachsende Unzufriedenheit. Als ärgerte sie sich, ohne zu wissen warum. Genau das hatte ich beabsichtigt.
Zum
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