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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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gehörst.«
    Ich kaute einen Mund voll Hähnchen und schluckte mechanisch, ohne den Blick zu heben.
    Mitgefühl.
»Ich habe dich schreien hören«, fuhr Carceret leise fort. Sie sprach langsamer, wie mit einem Kind. Ich weiß nicht, ob sie mich damit kränken oder sicherstellen wollte, dass ich sie verstand. »Es klang wie ein kleiner Vogel.«
    Ich nahm einen Schluck warme Ziegenmilch und wischte mir den Mund ab. Die Bewegung des Arms zog mein Hemd über den Striemen auf meinen Rücken, der daraufhin stach wie hundert Wespen.
    »War es ein Liebesschrei?« Carceret machte eine Gebärde, die ich nicht kannte. »Hat Vashet dich umarmt? Trägt deine Wange das Zeichen ihrer Zunge?«
    Ich nahm einen Bissen von dem Pudding. Er schmeckte nicht mehr so süß, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
    Carceret aß ebenfalls von ihrem Pudding. »Hier wetten schon alle darauf, wann du gehst«, fuhr sie immer noch leise fort. Was sie sagte, war nur für meine Ohren bestimmt. »Ich habe zwei Talente darauf gesetzt, dass du keinen zweiten Tag aushältst. Wenn du noch heute Nacht gehst, wie ich hoffe, gewinne ich viel Geld. Wenn ich mich irre und du bleibst, weide ich mich an deinen Blutergüssen und höre mir deine Schreie an.«
Bitte.
»Bleib.«
    Ich sah sie an. »Du sprichst, wie ein Hund bellt«, sagte ich. »Ohne Ziel und ohne Sinn.«
    Ich sprach leise, wie es die Höflichkeit gebot, aber nicht so leise, dass die uns Nächstsitzenden mich nicht gehört hätten. Ich weiß, wie man leise spricht und trotzdem gehört wird. Wir Ruh haben das Bühnenflüstern erfunden.
    Carceret lief rot an, und die hellen Narben an Kinn und Augenbraue traten deutlich hervor.
    Ich senkte den Blick wieder, aß weiter und tat, als sei ich die Gleichgültigkeit in Person. Es ist manchmal gar nicht so einfach, einen Menschen aus einer anderen Kultur zu beleidigen, doch ich hatte meine Worte sorgfältig gewählt und dabei das Wenige berücksichtigt, das ich von Tempi wusste. Offenbar hatte ich ins Schwarze getroffen.
    Ich aß langsam zu Ende und stellte mir vor, ich könnte die Wut spüren, die Carceret abstrahlte wie ein Ofen die Hitze. Diese kleine Auseinandersetzung hatte ich immerhin gewonnen. Natürlich war der Sieg nicht viel wert, aber manchmal muss man nehmen, was man bekommt.

     
    Als Vashet den kleinen Park betrat, saß ich bereits auf einer der beiden Bänke und wartete.
    Sie blieb vor mir stehen und seufzte heftig. »Na prima. Du bist also schwer von Begriff«, sagte sie in ihrem vorzüglichen Aturisch. »Dann bring mir deinen Stock. Vielleicht kann ich mich diesmal so ausdrücken, dass du mich verstehst.«
    »Ich habe schon einen Stock dabei«, sagte ich, griff hinter die Bank und zog ein hölzernes Übungsschwert hervor, das ich aus der Schule ausgeliehen hatte.
    Das alte, geölte Holz, dessen Griff von der Berührung zahlloser Hände glatt poliert war, war so hart und schwer wie eine Eisenstange. Wenn Vashet mich damit nur so stark auf die Schultern schlug, wie sie es mit der Weidengerte getan hatte, würde sie mir die Knochen brechen. Wenn sie mich ins Gesicht schlug, würde sie mein Kinn zertrümmern.
    Ich legte das Schwert neben mich auf die Bank. Das Holz war so hart, dass es nicht klapperte, sondern einen Ton von sich gab fast wie ein Glockenschlag.
    Dann zog ich mir das Hemd über den Kopf. Es scheuerte an der wunden Stelle auf meinem Rücken, und ich sog unwillkürlich Luft durch die zusammengebissenen Zähne.
    »Willst du mich mit deinem zarten, jungen Körper milder stimmen?«, fragte Vashet. »Du bist zwar ganz hübsch, aber so hübsch nun auch wieder nicht.«
    Ich legte mein Hemd ordentlich auf die Bank. »Nein, ich will dir nur etwas zeigen.« Ich drehte mich so, dass sie meinen Rücken sehen konnte.
    »Du wurdest ausgepeitscht«, sagte Vashet. »Aber das wundert mich eigentlich nicht. Ich wusste schon, dass du ein Dieb bist.«
    »Ich wurde nicht als Dieb bestraft«, erwiderte ich. »Die Striemen sind von der Universität. Ich wurde angeklagt und zu Peitschenhieben verurteilt. Viele Studenten gehen nach einer solchen Strafe und setzen ihre Ausbildung anderswo fort. Ich beschloss zu bleiben. Ich hatte schließlich nur drei Hiebe bekommen.«
    Ich wartete mit abgewandtem Gesicht. Dann biss Vashet an. »Ich sehe mehr Narben, als durch drei Peitschenhiebe erklärt werden könnten.«
    »Einige Zeit später wurde ich wieder angeklagt. Diesmal bekamich sechs Hiebe. Aber ich blieb trotzdem.« Jetzt sah ich sie an. »Ich blieb, weil ich

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