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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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stimmt das auch. Aber konkret ist Shehyn viel zu wichtig, um ihre Zeit mit jemandem wie dir zu verbringen.«
    Ich machte eine höfliche Handbewegung. »Ich war mit Tempi sehr zufrieden.«
    »Das spielte vielleicht eine Rolle, wenn deine Zufriedenheit unser Ziel wäre«, sagte Vashet. »Tempi hat mehr Ähnlichkeit mit einem Segelboot als mit einem Lehrer.«
    »Er ist mein Freund, wie du sicher weißt«, erwiderte ich ein wenig gereizt.
    Sie kniff die Augen zusammen. »Vielleicht übersiehst du als Freund seine Schwächen. Tempi ist ein tüchtiger Krieger, aber nicht mehr. Er spricht deine Sprache kaum, kennt sich in der Welt nur wenig aus und ist offen gesagt auch nicht der Hellste.«
    »Verzeihung«, sagte ich.
Bedauern.
»Ich wollte dich nicht kränken.«
    »Entschuldige dich nur, wenn du es ernst meinst.« Sie musterte mich weiter mit zusammengekniffenen Augen. »Auch wenn du dein Gesicht zu einer Maske machst – deine Augen sind wie hell erleuchtete Fenster.«
    »Tut mir leid«, sagte ich ernst.
Entschuldigung.
»Ich wollte einen guten ersten Eindruck machen.«
    »Warum?«, fragte Vashet.
    »Damit du eine gute Meinung von mir hast.«
    »Dazu bräuchte ich einen Grund.«
    Ich beschloss, zu einem unverfänglicheren Thema zu wechseln. »Tempi nannte dich den ›Hammer‹. Warum?«
    »Weil ich so heiße. Vashet. Hammer, Lehm, Spinnrad.« Sie sprach den Namen dreimal mit jeweils verschiedener Betonung aus. »Ich bin das, was formt und schärft oder zerstört.«
    »Und der Lehm?«
    »Der bin ich auch. Nur was sich biegt, kann lehren.«
    Ihre Worte weckten freudige Erwartung in mir. »Es ist natürlich schön«, sagte ich, »dass meine Lehrerin dieselbe Sprache spricht wie ich. Es gab tausend Fragen, die ich nicht stellen konnte, weil Tempi sie nicht verstanden hätte. Und selbst wenn er sie verstanden hätte, wäre ich aus seinen Antworten nicht schlau geworden.«
    Vashet nickte und setzte sich auf eine Bank. »Sich verständigen zu können ist ebenfalls eine Fähigkeit des Lehrers«, sagte sie. »Aber jetzt such bitte ein Stück Holz und bring es mir. Dann fangen wir mit dem Unterricht an.«
    Ich ging in den Wald. Vashets Bitte schien eine tiefere Bedeutung zu haben, deshalb wollte ich nicht mit dem erstbesten Zweig zurückkehren, den ich auf dem Boden auflas. Ich brach schließlich von einer Weide einen biegsamen Ast ab, der länger war als mein Arm und so dick wie mein kleiner Finger.
    Ich kehrte zu Vashet zurück und gab ihr den Ast. Sie zog ihr Schwert über die Schulter und begann die kleineren Nebenzweige abzuschneiden.
    »Du sagtest, nur was sich biege, könne unterrichten«, bemerkte ich. »Deshalb erschien mir dieser Weidenast passend.«
    »Für den Unterricht heute mag er genügen«, sagte Vashet und entfernte die letzte Rinde, bis nur noch eine schlanke, weiße Gerte übrig war. Sie wischte das Schwert an ihrem Kittel ab, steckte es in die Scheide und stand auf.
    Dann schwang sie den Ast hin und her und zog ihn mit einem zischenden Geräusch ein paar Mal durch die Luft.
    Aus der Nähe fiel mir auf, dass Vashet zwar die mir vertrauten roten Kleider trug, sie im Unterschied zu Tempi und vielen anderen aber nicht mit Riemen an Arme, Beine und Brust gebunden hatte, sondern mit blutroten Seidenbändern.
    Sie sah mich an. »Ich werde dich jetzt schlagen«, sagte sie ernst. »Steh still.«
    Langsam ging sie im Kreis um mich herum und schwang die Gerte weiter durch die Luft. Hinter mir blieb sie stehen. Sie nicht sehen zu können machte alles noch schlimmer. Sie schwang die Gerte schneller und das Zischen wurde höher. Ich zuckte nicht zusammen.
    Sie ging wieder um mich herum, trat hinter mich und schlug zweimal zu, einmal auf jeden Arm knapp unterhalb der Schulter. Zuerst fühlte es sich an, als hätte sie mich nur vorsichtig berührt, doch dann breiteten sich Schmerzen in meinen Armen aus wie Feuer.
    Bevor ich reagieren konnte, schlug sie mich so heftig auf den Rücken, dass ich es sogar in den Zähnen spürte. Die Gerte brach nur deshalb nicht, weil es sich um den elastischen grünen Zweig einer Weide handelte.
    Ich schrie nicht, aber nur, weil sie mich zwischen zwei Atemzügen erwischt hatte. Doch holte ich vor Schreck so schnell Luft, dass ich mich verschluckte und husten musste. Mein Rücken tat so höllisch weh, als hätte ihn jemand angezündet.
    Vashet trat wieder vor mich und musterte mich mit demselben ernsthaften Blick. »Das ist deine Lektion«, sagte sie völlig ungerührt. »Ich habe keine gute

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