Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
ich nur eine, aber es war trotzdem seltsam, dem Hin und Her von Gefühlen gleichsam zusehen zu können. Die Hände drückten
Belustigung, Ärger, Verlegenheit, Ablehnung
und
Widerwillen
aus. Ich hätte gern gewusst, wie viele dieser Gefühle mir galten, dem Barbaren unter ihnen.
Auch unerwartet viele Frauen und Kinder waren da. Einige wenige trugen die mir vertraute blutrote Uniform des Kriegers, weitaus mehr allerdings das schlichte Grau, dem ich auf meinem Spaziergang mit Shehyn schon begegnet war. Auch ein weißes Hemd sah ich. Es gehörte zu meiner Überraschung Shehyn selbst, die Seite an Seite mit uns anderen aß.
Niemand starrte mich an, aber ich spürte die Blicke der anderen auf mir. Die meiste Aufmerksamkeit galt natürlich meinem Haar. Etwa fünfzig der Anwesenden waren blond, einige dunkler und einige heller oder grau. Ich leuchtete aus ihnen heraus wie eine brennende Kerze.
Ich versuchte Tempi in ein Gespräch zu verwickeln, doch er wollte nicht und konzentrierte sich stattdessen auf das Essen. Er hatte viel weniger genommen als ich und aß davon auch nur einen kleinen Teil.
Ohne ein Gespräch als Ablenkung war ich schnell fertig. Sobald mein Teller leer war, hörte Tempi auf so zu tun, als esse er, und führte mich hinaus. Beim Gehen spürte ich dutzende Blicke im Rücken.
Tempi führte mich einige Gänge entlang. Vor einer Tür blieben wir stehen. Tempi öffnete sie, und dahinter lag ein kleines Zimmer mit einem Fenster und einem Bett. An der Wand lehnten meine Laute und mein Reisesack. Mein Schwert war nicht da.
»Du sollst einen anderen Lehrer bekommen«, sagte Tempi endlich. »Streng dich an und sei höflich. Von deinem Lehrer hängt viel ab.«
Bedauern.
»Mich wirst du in der nächsten Zeit nicht sehen.«
Er wirkte bedrückt, doch fiel mir nicht ein, was ich Tröstendes hätte sagen können. Stattdessen umarmte ich ihn, worüber er dankbar zu sein schien. Dann drehte er sich um und ging ohne ein weiteres Wort.
Ich machte die Tür hinter ihm zu, zog mich aus und legte mich auf das Bett. Wahrscheinlich sollte ich jetzt sagen, ich hätte mich unruhig hin und her gewälzt und aus Angst vor dem, was mich erwartete, nicht schlafen können. Die Wahrheit aber ist, dass ich hundemüde war und wie ein zufriedener Säugling an der Brust seiner Mutter schlief, tief und fest.
Kapitel 112
Der Hammer
I ch saß in einem kleinen Park, der lediglich aus zwei Steinbänken, ein paar Bäumen und einem schmalen Weg durch hohes Gras bestand. Man konnte in einer Minute von einem Ende zum anderen gehen. An zwei Seiten war er von steilen Felshängen vor dem Wind geschützt. Windstill war es in dem Park wohlgemerkt trotzdem nicht. Einen windstillen Ort schien es in ganz Haert nicht zu geben.
Als Vashet kam, fiel mir als Erstes auf, dass sie ihr Schwert nicht an der Hüfte trug, sondern es sich über die Schulter gehängt hatte, wie ich gewohnt war, meine Laute zu tragen. Ich kannte niemanden, der auf so beiläufige Art ein solches Selbstbewusstsein ausstrahlte. Als ob es sie nichts angehe.
Sie war nur mäßig groß, wie ich es von vielen Adem kannte, und hatte die gleiche helle Haut und die gleichen hellgrauen Augen. Ihr Haar war eine Spur heller als das von Tempi, und sie hatte es zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Von nahem sah ich, dass sie sich offenbar einmal die Nase gebrochen hatte. Sie war zwar nicht krumm, aber der kleine Höcker wirkte in dem ansonsten so ebenmäßigen Gesicht merkwürdig fehl am Platz.
Sie begrüßte mich mit einem breiten Lächeln, so dass ich ihre weißen Zähne sah. »So«, sagte sie in tadellosem Aturisch, »jetzt gehörst du mir.«
»Du sprichst Aturisch«, sagte ich dümmlich überrascht.
»Die meisten von uns sprechen es.« Um ihren Mund und an den Augenwinkeln sah ich einige kleine Falten. Sie mochte zehn Jahre älter sein als ich. »Wie soll man es in der Welt zu etwas bringen,wenn man diese Sprache nicht beherrscht? Man braucht sie für Geschäfte.«
Jetzt erst fiel mir mein Benehmen ein, und ich bekundete
förmlichen Respekt.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass du Vashet bist?«
Wieder erschien das Lächeln auf ihren Lippen. Vashet erwiderte meine Geste ein wenig übertrieben, so dass ich das Gefühl hatte, als mache sie sich über mich lustig. »Stimmt. Ich soll dich unterrichten.«
»Und Shehyn? Ich dachte, das Unterrichten sei ihre Sache.«
Vashet hob die Augenbrauen, auf dem Gesicht einer Adem ein geradezu exaltierter Ausdruck. »Allgemein gesagt
Weitere Kostenlose Bücher