Die Gabe der Amazonen
und nicht so schnell!« murmelte Yppolita mit dunkler Stimme. »Hana soll entscheiden, was mit dir zu geschehen hat.«
Am Abend waren wir Yppolitas Gäste, Gäste der alten und neuen Amazonenkönigin. Nachmittags hatten wir der Thronbesteigung beigewohnt – und der Unterwerfung der Kriegerinnen unter ihre neue Anführerin. In einer gespenstisch stillen Zeremonie waren die Amazonen eine nach der anderen durch den Thronsaal geschritten, um vor der Königin auf den Boden zu sinken, sich ihren Fuß auf den Nacken zu stellen und so zu verharren, bis Yppolita die Worte ›Ich vergebe dir und erkenne dich als meine Kriegerin an‹ gesprochen hatte. Die merkwürdige Prozedur hatte – so schien es mir – endlos lange gedauert, denn bei engen Vertrauten Ulissas hatte sich Yppolita viel Zeit genommen, ehe sie den erlösenden Satz aussprach.
Doch nun war die offizielle Zeremonie vorüber. Wir saßen in Yppolitas Gemach vor einem prasselnden, knackenden Kaminfeuer. Der Körper der Königin glänzte von einer Heilsalbe, die ihre zahlreichen Wunden verdeckte. Sie trug ein knappes weißes Hemdchen und sah fast wieder wie das Findelkind aus den Trollzacken aus. Eine unangenehme Aufgabe hatte Yppolita gleich am Anfang des Abends hinter sich gebracht: sie hatte unseren Hinauswurf für den nächsten Morgen angekündigt – mochten wir auch ihre Freunde und Kampfgefährten sein, so waren wir doch Männer, die in Kurkum nichts verloren hatten. Wir gaben uns alle Mühe, nicht an den bevorstehenden Abschied zu denken, und hörten Viburn zu, der von der Entführung des Feilscherhäuptlings prahlte.
»Wie kann man nur so einfältig sein und von jedem Gesöff trinken, das einem dieses habgierige Gesindel serviert, nicht wahr, Arve? Ich jedenfalls hatte diese vielgepriesene ›Felsrebe‹ überall hin verschüttet, nur nicht in meinen Schlund. Und mein Verzicht auf das Getränk sollte sich bald auszahlen: So konnte ich unserem verehrten Gastgeber nämlich eine echte Überraschung bereiten. Ihr hättet hören sollen, wie der kleine Schurke quiekte, als ich ihm das Messer an den Hals setzte! Während ein Teil seiner Leute unterwegs war, um Yppolita und euch den Amazonen zu übergeben, kam dieser Mimmel doch wahrhaftig allein und unbewaffnet in unsere Zelle, nur um Junivera und mich ein wenig zu schikanieren. Er dachte eben, wir wären noch völlig beduselt von seinem Mittelchen – nun ja, Junivera war auch tatsächlich noch immer benommen.«
»Was ist mit der Geweihten geschehen?« fragte die blinde Hana. Nachdem man die alte Schwertmeisterin aus dem Kerker geholt und diese ihre erste Verwirrung überwunden hatte, zeigte sich bald, daß ihr Verstand in der langen Zeit der Gefangenschaft nicht gelitten hatte. Beide Frauen hatten geweint, als sie einander in die Arme gefallen waren. »Das mußt du nicht tun, Majestät, das schickt sich nicht«, hatte Hana schließlich gemurmelt, sich aus der Umarmung gelöst und ihrer Königin mit dem schmutzigen Rockzipfel die Tränen aus dem Gesicht gewischt. Yppolita hatte lange nach Worten gesucht, um der grauhaarigen Freundin für ihre Opfertat zu danken, aber außer einem tonlos gestammelten »O Hana, meine Hana!« hatte sie nichts herausgebracht, sondern die blinde Frau nur wieder in ihre Arme gezogen ... Für den Abend hatte Yppolita der Schwertmeisterin einen Ehrenplatz in unserem Kreis zugewiesen. »Eure Gefährtin wurde doch nicht getötet?« sagte sie zu Viburn gewandt.
Der Streuner hatte mir schon von der Entscheidung der Geweihten berichtet, nun wiederholte er noch einmal, was geschehen war: »Es mag unglaublich klingen, aber sie wollte nicht mit mir kommen, in die Freiheit. Sie faselte lauter unsinniges Zeug: Den Zehntelern würde doch tatsächlich eine Belohnung für unsere Bewirtung zustehen ... und solche Sachen. Wenn sie die Zeche zahle, sei sie wenigstens für etwas gut gewesen. Vielleicht wollte sie sich die Sklaverei selbst als Buße auferlegen ... Ich weiß es nicht. Ich habe diese Frau nie verstanden ...«
»Ich verstehe sie nun besser«, sagte Yppolita, »nun, da ich wieder ich selbst bin. Ich habe falsch an ihr gehandelt – anstatt ihr zu helfen, ihre Schwäche zu verstehen und sich selbst zu verzeihen, habe ich sie nur tiefer in ihre Verzweiflung hineingetrieben. Gleich morgen werde ich mich zu ihr begeben und sie einladen, mein Gast auf Kurkum zu sein. Ich werde ihr die Worte sagen, die ich schon lange hätte sagen sollen, und ich werde ihr helfen, zu Rondra
Weitere Kostenlose Bücher