Die Gabe der Amazonen
geklemmt:
Der Degen ist für dich.
Betrachte ihn als Belohnung dafür,
daß du so gut auf Mädchen aufgepaßt hast.
Warte hier auf uns, bis wir zurück sind.
Wir stellen ein paar Erkundigungen an.
Gruß
Viburn
Ich hatte kaum die Zeilen überflogen, als ich auch schon Viburns und Mädchens Stimmen im Treppenhaus hörte. Dann stürmten sie herein und begrüßten mich freudig. Mädchen war immer noch ein wenig blaß, hatte sich aber offenbar wieder gut erholt. Weil ich sicher war, die wichtigeren Nachrichten zu besitzen, schwieg ich zunächst und ließ mir von den beiden ihre Erlebnisse schildern.
Viburn berichtete, wie er zunächst – ohne viel Erfolg – versucht hätte, etwas über die Amazonen in Erfahrung zu bringen, dann in einer Seitenstraße einem jungen Edelmann eine Lektion in gutem Benehmen erteilt – »Zum Dank schenkte er mir seinen Degen.« – und einen Plan geschmiedet hätte, wie man in den Palast eindringen könnte.
»Wozu das?« fragte ich.
»Na, um die Gefangenen zu befreien, natürlich.«
»Ich denke, die hätten ›Pech gehabt‹ und sollten gefälligst auf sich selbst aufpassen?«
Viburn zuckte die Achseln. »Sollten sie eigentlich auch. Ich habe Mädchen meinen Standpunkt ganz genau erläutert. Ich habe ihr erklärt, worin mein Auftrag besteht und wofür ich meine Dukaten bekomme: Das Verschwinden dieser Yppolita soll ich aufklären und nicht etwa ein paar tölpelhafte Havener sicher durch alle Fährnisse Aventuriens geleiten. Dafür zahlt mir niemand einen Kreuzer ...«
»Ja und ...?«
Viburn seufzte tief. »Mädchen hat sich nicht überzeugen lassen. Sie kann ungeheuer dickköpfig sein. Hast du das gewußt?«
Mädchen war zwischen uns getreten, hatte uns beiden einen Arm um die Schultern gelegt und lächelte uns abwechselnd zu. Mir fiel wieder ein, daß ich dringend noch etwas mit Viburn besprechen mußte, und seinem Mienenspiel glaubte ich zu entnehmen, daß er an das gleiche dachte.
Stillschweigend verschoben wir die Aussprache noch einmal, denn jetzt gab es wichtigere Dinge zu klären. Viburn wollte mir unbedingt seinen Befreiungsplan schildern, doch ich hörte ihm kaum zu, während er sein gewagtes Vorgehen entwickelte, in dem eine schlecht einsehbare Mauerstelle, Wurfhaken und Kletterseile eine wichtige Rolle spielten. Ungeduldig wartete ich darauf, daß sein Redefluß versiegte und ich endlich sagen konnte:
»Wir machen es ganz anders – wir gehen durch den Keller!«
Anschließend konnte ich in aller Breite meine Tageserlebnisse beschreiben. Ich beendete meinen Bericht mit dem Wortwechsel, den ich im Nachbarzimmer belauscht hatte.
Viburn nämlich deutete das Gespräch ebenso wie ich: »Natürlich, so ist es: Es gibt einen unterirdischen Gang zu den Verliesen, und diese Serafa besitzt einen Plan. Heute nacht wird sie mit ein, zwei Gefährtinnen zu den Gefangenen schleichen – sie wird es zumindest versuchen. Und wir werden ihren Stoßtrupp nach Kräften unterstützen.«
Kurz nachdem aber die Schwertmeisterin Hana mit der entthronten Yppolita davongeritten war, hatte die neue Amazonenkönigin etwas Seltsames geträumt, nicht nur einmal, sondern in mehreren, aufeinanderfolgenden Nächten:
Sie sah ihr Ginsterkatzenpärchen beim Spiel, einer wilden Rauferei, wie sie bei jungen Katzen üblich ist. Gewöhnlich trug Kuli, die ältere, bei solchen Balgereien den Sieg davon, aber diesmal wurde sie von Irum, der jüngeren, auf den Rücken geworfen. Kuli, die keine andere Möglichkeit mehr sah, stellte sich tot, und Irum ließ von ihr ab. Kaum hatte die jüngere Katze ihr jedoch den Rücken gewandt, da sprang Kuli wieder auf, stürzte sich von hinten über Irum und schlug ihr die Zähne in den Nacken. Es war das Geräusch der kleinen, splitternden Knochen, das jedesmal den Traum beendete und Ulissa erschreckt aufwachen ließ.
Ulissa benötigte keine weise Frau, um diesen Traum zu deuten. Als sie Hana bei ihrer Rückkehr ins Verhör nahm und von ihr erfuhr, daß Yppolita nicht gestorben war, fuhr ihr ein eisiger Schrecken in alle Glieder.
Schon einen Tag später schickte sie geheime Botschaften an die Bevollmächtigten des Amazonenvolkes im ganzen Reich:
Sollte eine der Frauen etwas erfahren, das irgendwie, ganz gleich wie weit entfernt, im Zusammenhang mit Yppolita stand, mußte noch am gleichen Tag eine Meldung nach Kurkum abgesandt werden.
Nachdem Ulissa eingesehen hatte, daß die blinde Hana ihr bei der Suche nach Yppolita tatsächlich
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