Die Gabe der Amazonen
ich überlegte es mir anders, huschte zur Tür und preßte mein Ohr an einen Spalt. Ich unterschied zwei Stimmen, deren eine Ulfried, dem Wirt, gehören konnte, die andere möglicherweise der Amazonenführerin.
»Was hast du herausgefunden?« fragte die Frauenstimme.
»Nichts Bestimmtes. Die Gefangenen können zu den Leuten gehören, die Königin Ulissa suchte, ebensogut kann es sich um ganz gewöhnliche Halsabschneider handeln.« Ich war mir nun sicher, daß Ulfried der männliche Sprecher war.
»Haben sie immer noch nicht geredet?«
»Nein, Serafa, die Wachen haben kein Wort aus ihnen herausgebracht.«
»Dann kann es sich nicht um gewöhnliche Diebe und Mörder handeln.« Die Frau schritt im Zimmer auf und ab. »Die hätten – allein aus Hunger – längst geplaudert.«
»Was willst du tun?«
»Was ich eben gesagt habe: Ich muß mir die Gefangenen selbst ansehen. Hast du deinen Mann erreicht?«
»Ja«, murmelte der Wirt. »Er hat mir auch diesen Plan gegeben.« Papiergeraschel war zu hören. »Aber er war nicht bereit, euch zu führen. Erst habe ich gedroht, seine Kinder umzubringen, dann habe ich ihm Geld geboten. Beides hat nicht gewirkt.«
»Dann gehen wir eben allein.«
»Das hat keinen Sinn, Serafa. Ohne Führer kommt ihr keine hundert Schritt weit. Der Gang ist mit tödlichen Fallen gespickt. Schließlich ist er als Fluchtweg aus dem Palast angelegt worden und nicht als leichter Spazierweg in den Palast hinein.«
»Wir gehen allein.«
»Gestatte mir eine Frage, Serafa. Was haben diese Leute euch eigentlich getan? Warum läßt Ulissa so fieberhaft nach ihnen suchen? Man könnte ja fast meinen, daß sie sie töten wollen.«
Die Frauenstimme wurde so leise, daß ich sie kaum mehr verstehen konnte. »Was ich dir jetzt sage, Ulfried, geht dich eigentlich gar nichts an, und du wirst es auch sofort wieder vergessen: Ich glaube, das Ganze hängt mit Yppolita, unserer verbannten Königin, zusammen. Wahrscheinlich will sie auf den Thron zurückkehren. Der Fürst von Albernia hat jedenfalls ...«
»Was ist los, Arlone?« rief meine große Geliebte schlaftrunken vom Bett. »Was treibst du denn da? Komm doch zu mir!«
Ich huschte zu ihr und streichelte ihr das Haar, bis sie wieder eingeschlafen war. Dann konnte ich auf meinen Horchposten zurückkehren.
»Also, du weißt Bescheid. Meine Truppe bricht auf jeden Fall morgen nach Shamaham auf, ganz gleich, ob wir von unserem nächtlichen Ausflug zurückkehren oder nicht. In diesem Fall übernimmt Alla das Kommando. Du weißt natürlich von nichts.«
»Was soll denn werden, wenn man euch überrascht und gefangennimmt?«
»Eine Amazone läßt sich nicht lebend gefangennehmen, aber die Wachen dürfen uns trotzdem nicht entdecken. Es würde zu bösen Verwicklungen zwischen Kurkum und dem Grafen von Beilunk führen, wenn man ein paar Amazonen in seinem Keller erwischte.«
»Serafa, noch einmal, du weißt, daß ich dich mag ...«
»Na, na, na!«
»Schon gut, daß ich dich als Kriegerin schätze. Laß ab von deinem Plan! Der Gang ist tödlich, glaube mir!«
»Genug jetzt, du bist ein Hosenscheißer wie alle Männer! Ich muß mit Salima und Ilka den Einsatz besprechen. Übrigens, wann ist eigentlich Dedlanas Buhler gegangen? Ich habe ihn gar nicht bemerkt.«
»Ich glaube, er ist immer noch da.«
»Was, und das sagst du erst jetzt?«
Drüben polterten eilige Schritte durchs Zimmer.
Mit zwei Sätzen flog ich zum Bett hinüber, zog die Decke hastig über die eben erwachende Dedlana und zog sie mir bis zum Hals. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, als auch schon die Türe aufgerissen wurde.
»Nun sieh dir das saubere Pärchen an, Ulfried. Liegen breit und behäbig im Bett und stehlen Rondra den Tag. Dedlana, du meldest dich in zwei Minuten bei mir! Und du Bube (damit war ich gemeint), dir gebe ich zehn Lidschläge Zeit, das Weite zu suchen!«
Mit einem Knall flog die Tür wieder zu.
Nun kannte ich also das Ende der Fortpflanzungszeremonie, mir erschien es wenig stimmungsvoll und etwas zu plötzlich. Ich drückte der völlig überraschten Dedlana einen herzhaften Kuß auf den Mund, schnappte meine Stiefel, Umhang und Hut und stürzte die Treppe hinunter. Unten fand ich die Tür zum Pferdestall. Dort konnte ich in aller Ruhe meine Garderobe vervollständigen, bevor ich hinaus auf die Straße trat.
Auf meinem Bett in der Herberge fand ich einen hübsch gearbeiteten Degen samt Scheide und besticktem ledernen Schultergurt. In die Schnalle war ein Zettel
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