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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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nicht mehr von Nutzen sein konnte, ließ sie sie in den Kerker werfen.
     
    Kurz vor Mitternacht hatten wir vor dem Schwarzen Bären Posten bezogen. Viburn stand hinter einem Hoftor, dessen Riegel er ohne viel Mühe mit dem Dolch ausgehebelt hatte, und spähte durch einen schmalen Spalt hinüber auf die andere Straßenseite. Wir hatten uns vergewissert, daß man den Schwarzen Bären nicht durch einen Hinterausgang verlassen konnte. Wann die Amazonen aufbrechen wollten, hatte ich nicht belauschen können. So blieb uns keine andere Möglichkeit, als abzuwarten und abwechselnd die Tür des Gasthofes zu beobachten. Die Zeit verging endlos langsam. Mädchen trat aufgeregt von einem Fuß auf den anderen.
    Ruhig stand sie nur, wenn sie mit der Überwachung der Schenkentür an der Reihe war. Dann wirkte sie gelöst und gesammelt zugleich – wie eine lauernde Katze.
    Endlich wurde drüben die Tür aufgestoßen, aber es traten nur ein paar späte Zecher auf die Straße hinaus. Kurz nachdem die Männer gegangen waren, wurde im Gastraum das Licht gelöscht. Ringsumher herrschte tiefe Stille, die nur gelegentlich vom Fußtritt einer fernen Stadtwachenpatrouille unterbrochen wurde.
    Zwei Kreaturen der Nacht flatterten riesenhaft und lautlos um die Kuppel des Praiostempels. Im Sternbild der Stute stand das bleiche Halbrund des Madamals und warf sein mildes Licht auf den weiten Platz vor dem Tempel. Der silberne Schimmer auf den freien Flächen und Hausdächern ließ die dunklen Schatten in den Straßen noch schwärzer erscheinen. Irgendwo, ganz in unserer Nähe, sprangen gedämpfte Hilfeschreie, ein ersticktes Stöhnen auf. Wir fuhren zusammen, aber was wir gehört hatten, waren nur die Angstlaute eines Schläfers in einem schweren Traum.
    Wir warteten und froren, denn Firuns Atem senkte sich herab aus dem sternklaren Himmel. Wenn Viburn sprach, stieg weißer Dampf von seinem Munde auf; auf einer Pfütze vor dem Tor glänzte matt eine Haut aus Eis.
    Das Madamal war schon einen beträchtlichen Weg über den Himmel gewandert, als wir endlich ein Geräusch aus dem Schwarzen Bären hörten. Einen Augenblick später öffnete sich drüben die Tür, und ein Kopf unter einer Kapuze kam zum Vorschein. Er spähte nach rechts und links. Dann wurde die Türe vollends aufgestoßen, und drei Gestalten in langen, dunklen Kapuzenmänteln traten auf die Straße hinaus. Ein kaum hörbares Klirren von Metall klang herüber, als sie sich in Bewegung setzten.
    Wir gaben ihnen einen Vorsprung von vielleicht vierzig Schritten, dann schlüpften wir aus dem Tor. Ich ging am Schluß, vor mir Mädchen und Viburn an der Spitze, diese Reihenfolge hatten wir vorher festgelegt. Dabei hatte ich mir vorgenommen, so dicht wie möglich hinter Mädchen zu bleiben, um sie, falls sie sich nicht schnell genug schützen konnte, rechtzeitig in Deckung ziehen zu können. Meine Vorsicht erwies sich als völlig unbegründet. Als nämlich die von uns verfolgten Gestalten zum ersten Mal einen Blick nach hinten warfen, war ich es, der den Sprung in den Schatten fast nicht mehr schaffte. Mädchen und Viburn waren mit einer glatten, fließenden Bewegung weggetaucht, und zwar gleichzeitig und im selben Moment, als die Gruppe vor uns ihren Schritt verhielt.
    Viburn war als Streuner aufgewachsen. Ihm lag das Schleichen im Blut. Aber Mädchen? Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, wie sie ihre Tage verbracht haben mochte, bevor sie auf diesen seltsamen ›Onkel‹ gestoßen war.
    Die drei Amazonen aus dem Bären bewegten sich ebenfalls sehr vorsichtig. Aber offenbar hatten sie nicht – wie wir – ihre Waffen mit Stoff umwickelt, denn immer wieder einmal erklang ein leises Scheppern, wenn eine Säbelscheide gegen einen Beinpanzer stieß. Vermutlich trugen sie unter den Umhängen ihre vollständigen Rüstungen, obwohl leichte Kleidung für ihr Vorhaben viel nützlicher gewesen wäre. Vielleicht waren ihnen zivile Kleider zuwider. Es mochte für sie schon ein Zugeständnis bedeuten, daß sie auf ihre schweren Helme verzichtet hatten. Mit Verfolgern schienen die Amazonen nicht zu rechnen. Wann immer sie eine freie, ungedeckte Fläche überqueren mußten, verharrten sie erst einmal im Schatten, bis sie sich vergewissert hatten, daß die Luft rein war. Aber nach hinten schauten sie fast nie. Das hätte ihnen – im Vertrauen gesagt – auch nicht viel genützt. Mädchen und Viburn beim Schleichen zuzusehen, bereitete mir die gleiche Freude, mit der man einen geschickten Handwerker –

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