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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Tod der Amazonenkönigin Gilia nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein sollte. Angeblich hatten ihre machthungrigen Töchter, die nach Gilias Tod gemeinsam die Herrschaft über Kurkum antraten, eine Hand im Spiel. »Es sind-nd Hek-sen, alle b-beide«, sabberte unser Informant, »aber Ulis-sissa ist die schlimmere!«
    Seit zwei Jahren hatte der Waldelf kaum noch etwas aus Kurkum gehört, aber es gab wilde Gerüchte: Ulissa hatte danach ihre Schwester umgebracht, und Yppolita dann Ulissa im Streit erschlagen; beide Herrscherinnen waren also tot, die führungslosen Amazonen völlig verwildert und in Barbarei versunken. Das Gerstenbier zeitigte nun eine unerwünschte Nebenwirkung: Die Erzählungen des Säufers wurden zunehmend konfuser. Sein Becher war wieder einmal leer.
    »Wie bist du nach Kurkum gelangt?« fragte Viburn beiläufig. »Das war sicher keine einfache Reise?«
    »Schwer, schwer«, nickte der Waldelf, »und sehr gefähr-lich!« Dabei schob er den leeren Becher über den Tisch.
    »Du bist von Beilunk aus in die Berge gezogen, nicht wahr?«
    »In B-beilunk brau-en sie ein gutes Bier!«
    »Von Beilunk in Richtung Osten, oder?«
    »Meine Kehle ist so so trok-ken, ich kann kaum sprechen.«
    Der Säufer griff sich an den Hals, es sah aus, als müßte er ersticken. Viburn wandte sich leise an Elgor. »Ich fürchte, wir brauchen noch etwas Geld, wir müssen ihm ein frisches Bier kaufen.«
    Unsere Unterhaltung mit dem Waldelf dauerte nun über zwei Stunden. Und sie war nur sehr mühselig vorangekommen. Da Viburn kein Geld hatte und ich nur zwei Silbertaler besaß, hatte Elgor das kostspielige Gespräch finanziert.
    Er hatte uns gewähren lassen, aber ich konnte mehrfach beobachten, wie er mit Mühe eine Bemerkung unterdrückte. Doch jetzt war er mit seiner Geduld am Ende. Er beugte sich vor, packte den Trinker mit beiden Händen am Kragen und zog ihn quer über den Tisch. Alle Gäste in der Schenke schauten zu uns herüber.
    »Ich habe es satt!« brüllte Elgor dem Elf, der hilflos die Augen verdrehte, ins Gesicht. »Du bekommst noch ein Bier! Aber vorher erzählst du uns haarklein, was wir wissen wollen: Was geschah mit Yppolita? Wo liegt der Palast? Wie kommen wir auf dem schnellsten Weg dorthin? Also los, rede, dann kannst du dich meinetwegen zu Tode saufen!«
    Nie zuvor an diesem Abend hatte der Waldelf so nüchtern ausgesehen. Er befreite sich aus Elgors Griff und stand auf.
    »Ihr seid an den Falschen geraten«, sagte er laut und sah sich gehetzt im Schankraum um. »Ich bin doch nicht käuflich. Außerdem weiß ich überhaupt nicht, wovon ihr sprecht. Euch sollen die Oger fressen!« Mit diesen Worten warf er sich herum, stürzte zur Tür und verschwand in der Nacht.
    Wenig später folgten ihm drei schwarzgekleidete Gestalten – vermutlich Frauen –, die während des ganzen Abends dicht bei der Tür gesessen hatten. Als wir am nächsten Morgen in den Pferdestall unserer Herberge kamen, fanden wir den Säufer mit durchschnittener Kehle in seinem Blute liegend. Auch unsere Pferde waren tot und hatten das Stroh in den Ställen mit ihrem Blut getränkt. Nie zuvor im Leben hatte ich solche Lachen aus dunklem Blut gesehen – der Geruch war unerträglich. Übelkeit schnürte mir die Kehle zu. ›KEHRT UM!‹ hatte jemand mit Blut auf die weißgetünchte Stallwand geschrieben ...
    Natürlich sind wir nicht umgekehrt, aber wir mußten unsere Reise zu Fuß fortsetzen, und Elgor ordnete an, unseren Weg von nun an abseits der Straße zu suchen. Wie gesagt – er macht es einem nicht leicht, ihn zu mögen. Nun ja, andererseits bin ich selten einem höflicheren Menschen begegnet. Bei allen Mahlzeiten nimmt er als letzter von den Speisen und niemals zu viel. Er unterhält das Feuer, sucht mitten in der Nacht nach neuen Scheiten und meldet sich an jedem Abend freiwillig für die Hundswache am frühen Morgen, der Zeit, in der man sich krank fühlt vor Müdigkeit. Beim Aufbruch hebt er einem den Packen auf die Schultern und prüft, ob alle Gurte richtig sitzen. Dann erst schultert er seinen Rucksack. Er redet Wirt und Wirtin mit ›Ihr‹ an, statt die Leute zu duzen – und beschwert sich weder über zu wenig Salz in der Suppe noch über zu viele Tierchen im Bett. Er klagt überhaupt niemals, nicht über das Wetter, nicht über das Essen oder die Leute. »Was soll ich mich verdrießen lassen von Dingen, die ich nicht ändern kann?« so sagt er manchmal. »Ich muß mich um die Sachen kümmern, die ich ändern kann.«

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