Die Gabe der Amazonen
»Ich werde mit ihm gehen. Wir haben sowieso keine andere Wahl.« Vor der Tür ergriff er Nipper bei der Hand und verschwand mit ihm in der Nacht.
Die beiden kehrten überraschend schnell zurück. Nipper trug einen Rucksack auf der Schulter und einen kleinen Kupfertopf in der Hand. Nachdem er ein paar Worte mit Mams gewechselt hatte, nahm ihm dieser den Topf ab, befestigte ihn an einem Stecken und hielt ihn über das Feuer. Nipper stellte den Rucksack auf den Boden. Nach kurzer Suche zog er eine Speckseite hervor, die er auf ein altes Holzbrett legte. Er fuhr mit der Handkante darüber hin, als ob er sie zerschneiden wollte, und zeigte anschließend auf den kurzen Dolch, den Larix am Gürtel trug. Larix hielt ihm die Waffe hin, aber der Kleine nahm sie nicht an. Statt dessen griff er in seinen Stiefelschaft und zog ein kleines Messer hervor, das dort – von uns unentdeckt – gesteckt hatte. Er erhob wieder diesen fragenden Blick.
Fast hätte ich mit dem Kopf genickt, aber ich verzichtete darauf. Diesmal versuchte ich es mit einem Augenzwinkern – mit besserem Erfolg: Auch Nipper zwinkerte mir zu. Anschließend schnitt er den Speck in Stücke und warf ihn in den Kupfertopf, in dem er sofort zu brutzeln begann. Bald stieg ein würziger Duft in die Nasen, und mir fiel ein, daß ich sehr lange nichts mehr gegessen hatte. Wollten die Kleinen Viburn ein deftiges Abendessen einflößen? Das war doch albern! Ich beschloß, sie nicht aus den Augen zu lassen.
Während Mams mit einem Stöckchen im Topf rührte, suchte Nipper Blättchen und Stengel aus den zahlreichen Kräuterbündeln heraus. Teils zerschnitt und teils zerrieb er sie zwischen den Fingern, alle wanderten nach und nach in den dampfenden Topf.
Der verlockende Geruch von gebratenem Speck wurde überlagert von herbem Kräuterduft, der Duft verwandelte sich in einen beißenden Gestank. Gerade, als ich mich fragte, ob uns die seltsamen Köche durch ihr Gebräu allesamt betäuben wollten, nahm Mams den Topf vom Feuer. Er stellte ihn auf den Boden, direkt vor Nippers Füße. Und dieser Wicht knöpfte doch tatsächlich ohne jede Scham seinen Hosenlatz auf, zerrte einen überraschend großen, blau geäderten Schaft heraus und strullte einen dicken gelben Strahl in den Topf, aus dem zischend stinkender Dampf aufstieg. Mitten in den weißen Schwaden standen die beiden Kleinen und stimmten ungerührt ein fröhliches Liedchen an. Mit zufriedener Miene rührte Mams ein letztes Mal in dem Sud, dann trug er den Topf zu Viburn hinüber.
Larix, Elgor, Mädchen und ich tauschten ratlose Blicke. Wenn wir die Kleinen an ihrem Vorhaben hindern wollten, mußten wir jetzt einschreiten. Ich betrachtete Viburns unbewegtes blasses Gesicht. Wer konnte sagen, was mit ihm geschehen mochte, wenn wir die Kleinen gewähren ließen? Aber wie lange würde er noch leben, wenn wir gar nichts unternahmen? Ich zwinkerte Nipper zu.
Nipper spaltete einen Zweig. Mit dem flachen Hölzchen spachtelte er eine graugrüne, dampfende Masse auf Viburns Wade. Er strich die Schicht über der Wunde glatt und ritzte mit dem Stäbchen ein paar einfache Zeichen hinein.
Dann zogen sich die beiden in eine Ecke des Raumes zurück, aus ängstlichen, besorgten Augen abwechselnd auf uns und auf Viburn blickend. Offenbar sind sie sich ihrer Sache keineswegs sicher, dachte ich besorgt.
Viburns Augenlider flatterten.
Mädchen zuckte zusammen.
Plötzlich schnellte Viburns Kopf vom Boden hoch. Sein Mund öffnete sich zu einem tierhaften Schrei. Dann preßte er die Kiefer aufeinander, daß wir die Zähne knirschen hörten. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze, einem Abbild des Entsetzens und der Angst. Er krümmte sich zusammen, rollte über den Boden, über das Feuer hinweg, blieb lang ausgestreckt liegen. Nur sein Kopf schlug noch hilflos hin und her, kam dann aber endlich auch zur Ruhe.
Mädchen hatte Viburn schreckerstarrt beobachtet. Jetzt, da er sich nicht mehr bewegte, stürzte sie sich mit hoch erhobenem Säbel auf die beiden kleinen Kreaturen, die voller Furcht zu ihr hinaufstarrten. Dabei fuchtelten sie verzweifelt mit den Händchen vor den Gesichtern herum und schnitten wilde Grimassen. Sie sahen wahrhaftig drollig aus, aber Mädchen meinte es blutig ernst. Wäre Elgor ihr nicht im allerletzten Augenblick in den Arm gefallen – sie hätte die kleinen Wichte in Stücke gehackt! Sie wehrte sich wie rasend gegen seine Umklammerung. Da Elgor sie nicht verletzen wollte, hatte er einen schweren Stand
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