Die Gabe der Amazonen
bei diesem Kampf. Ich sprang hinüber, um ihm zu helfen, als Larix' Stimme erklang:
»Mädchen, so beruhige dich doch! Er ist nicht tot! Ich ... ich glaube wahrhaftig, er schläft.«
Larix hatte sein Ohr horchend gegen Viburns Brustkorb gepreßt. Jetzt richtete er sich auf und schüttelte ihn an der Schulter. Tatsächlich zuckten Viburns Augenlider, so als ob er träumte. Der Streuner stieß ein paar unverständliche Laute aus und wälzte sich schwerfällig auf die Seite. Jetzt konnten wir alle seine tiefen, regelmäßigen Atemzüge hören.
»Tatsächlich, er schläft!« Elgor gab Mädchen frei. Sie rieb sich Arm und Handgelenk, die in seinem Klammergriff gesteckt hatten.
Die beiden Kleinen steckten die Köpfe zusammen und keckerten in ihrer seltsamen Sprache. Sie grinsten zufrieden und wirkten überhaupt recht vergnügt. In Windeseile wuselten sie durch die Hütte, um ihre Siebensachen einzusammeln und in ihren Beuteln und Säcken zu verstauen. Bald war alles eingepackt, Nipper stellte sich vor Larix hin und streckte ihm sein Händchen entgegen. Der Zwerg antwortete nicht auf die Geste. Er wandte sich an Elgor: »Ich meine, wir sollten sie wenigstens bis morgen bei uns behalten. Noch wissen wir nicht, ob sie Viburn tatsächlich geheilt haben.«
Elgor warf einen Blick auf den schlafenden Streuner, der eben leise zu schnarchen begann. In Viburns Gesicht war die gewohnte rosige Farbe zurückgekehrt. »Nein, ich glaube, er ist über dem Berg. Die Kleinen scheinen sich ihrer Sache ganz sicher zu sein, sonst würden sie nicht so selbstbewußt auftreten. Wir müssen gerecht handeln – laß sie ziehen.«
Da drückte Larix herzhaft das Händchen, das immer noch vor seiner Brust schwebte. Nipper verzog das Gesicht zu einer Schmerzensmiene, befreite seine Hand und hielt sie wiederum hin. Diesmal achtete er darauf, daß die Handfläche deutlich nach oben gekehrt war.
»Es geht ihm wohl nicht um einen Händedruck, Larix«, erklärte ich. »Der kleine Wundarzt fordert sein Honorar.«
»Wieso von mir?« Der Zwerg war ratlos. »Ich besitze nichts, das ich ihm geben könnte.«
»Wie wär's mit deinem Dolch?« schlug Elgor vor.
Mit finsterer Miene zog Larix den Dolch aus dem Gürtel und hielt ihn dem Kleinen hin. Nipper nahm ihn aus seiner Hand. Nachdem er mit dem Daumen prüfend über die Schneide gefahren war, schnitt er eine mißbilligende Grimasse, steckte den Dolch aber ein. Die beiden nahmen ihre Sachen auf und stapften, ohne sich noch einmal zu uns umzudrehen, hinaus in die Nacht.
Die Meldung vom Aufbruch der fünf Kundschafter aus Havena fuhr Königin Ulissa in Mark und Glieder. Aus der Schar ihrer Kriegerinnen rief sie die vertrautesten zu sich und schickte sie der Gruppe entgegen. Die Amazonen waren reichlich mit Dukaten ausgestattet, um unterwegs Verbündete anzuwerben, die bei der Suche nach den Kundschaftern helfen sollten. Die Gesuchten wurden in Rommilys gesichtet und in den Trollzacken beinahe gestellt, aber gefaßt wurden sie bis heute nicht.
Nun traf kürzlich auf Kurkum eine Botschaft aus Beilunk ein: Möglicherweise seien drei der fünf Havener gefaßt und säßen im Kerker von Beilunk. Ulissa sandte ihre Offizierin Serafa aus, begleitet von einer Schar Kriegerinnen. Serafa kehrte nicht zurück.
Als Viburn am nächsten Morgen erwachte, war er vollständig geheilt. Sein Bein, von der trockenen, rissigen Salbe bedeckt, juckte unerträglich. Noch im Aufwachen, bevor einer von uns ihn daran hindern konnte, hatte er die grüne Schicht von der Wade gekratzt. Darunter kam eine helle, fast unversehrte Haut zum Vorschein. Von den Bißwunden war nur eine Reihe winziger, glänzender Narben geblieben. Überrascht stellte ich fest, daß auf dem Bein kein Haar mehr wuchs – es war so glatt wie ein Frauenschenkel (und – ganz im Vertrauen – so ist es bis heute geblieben).
Von nun an fehlte in Viburns Gedächtnis ein Tag. Er konnte sich nur noch an einen lähmenden Schmerz erinnern, der langsam von der Wade bis in sein Rückenmark gekrochen war. Erst als ihm Elgor von den beiden kleinen Wunderheilern erzählte, sah er ihn überrascht an. »Auf die kann ich mich besinnen, aber ich dachte, ich hätte nur von ihnen geträumt ... Die waren also tatsächlich hier, hm ...?« Er ließ sich Nipper und Mams noch einmal ausführlich von uns beschreiben und stieß schließlich einen überraschten Pfiff aus. »Das ist ja eine tolle Geschichte. Die beiden gehören einem sehr geheimnisvollen Volk an.
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