Die Gabe der Amazonen
Kindes. Ohne ihn loszulassen, stellte ich ihn zurück auf den Boden und stieß ihn vor mir her zur Feuerstelle. Elgor schleppte seinen Gefangenen herbei, kehrte aber gleich zurück auf seinen Posten. »Ich hab' die kleinen Schurken beim Anschleichen beobachtet«, erklärte er uns knapp. »Will mal nachsehen, ob draußen noch ein paar von der Sorte herumlungern.«
Die kleinen Wesen trugen Anzüge aus dicker, grüner Wolle. Beide hatten breite Gürtel um ihre Trommelbäuche geschlungen, an den Ledergürteln hingen Tuchbeutel, aus denen verschiedene halb verdorrte Kräuterbüschel schauten. Die Winzlinge – sie waren etwa so groß wie achtjährige Menschenkinder – standen auf zierlichen, schmalen Füßchen, die in liebevoll bestickten Rauhlederstiefelchen steckten. Alles an ihnen war putzig, spielzeughaft anzuschauen, das galt auch für die dicken, runden Köpfe mit den kleinen, aber breiten Nasen und den großen nußbraunen Augen. Erst beim zweiten Hinsehen konnte man die feinen Krähenfüße in den Augenwinkeln entdecken, die geplatzten Äderchen auf den Wangen und der Nasenspitze, die dunklen Schatten auf Oberlippe und Kinn, Spuren eines sorgfältig abgeschorenen Bartwuchses. Nein, das waren keine Kinder.
»Den rechten lassen wir leben«, sagte ich laut, »den linken steche ich nieder.«
Beide sahen mich fragend an, keiner hatte auch nur mit einer Wimper gezuckt. »Sie scheinen uns ebenso gut verstehen zu können wie wir sie«, stellte ich fest. »Oder sie müßten schon wahre Meister der Selbstbeherrschung sein. Was sollen wir mit ihnen anstellen?«
Niemand antwortete mir.
Ich trat vor die beiden hin und tippte mir mit dem Zeigefinger auf die Brust. »Arve.«
»Nipper«, erwiderte der rechte, nachdem er mein Zeichen nachgeahmt hatte, und »Mams« der andere, der noch etwas kleiner als sein Gefährte war.
Junivera ging hinaus, um Elgor auf seinem Posten abzulösen, der wenig später mit eingezogenem Kopf durch die Türöffnung schlüpfte. »Hast du etwas aus den Burschen herausbekommen?« fragte der Krieger mit einem Blick auf unsere kleinen Gefangenen.
»Sie heißen Nipper und Mams«, antwortete ich. »Weiter bin ich noch nicht gekommen.« Inzwischen hatte sich Elgor schon über Viburn gebeugt, der noch immer reglos neben dem Feuer lag. Daran hatte auch Larix' Behandlung nichts geändert.
»Wenn uns nicht bald etwas Besseres einfällt, wird er sterben.« Nie zuvor hatte ich den Krieger so niedergeschlagen erlebt. »Ich mag ihn sehr. Nicht nur, weil er uns das Leben gerettet hat ...«
Nipper trippelte zum Feuer und hockte sich neben Viburn auf den Boden. Er betrachtete den Verband, den der Zwerg angelegt hatte, zupfte behutsam an den Stoffstreifen, ergriff einen Knoten mit spitzen Fingern und sah mich fragend an. Ich wandte mich an den Zwerg: »Hast du etwas dagegen, daß er den Verband abnimmt?«
»Nein. Ich weiß sowieso nicht, ob er etwas nützt. Er kann bei Wundfieber helfen, aber Viburn scheint überhaupt kein Fieber zu haben.«
Ich nickte dem Kleinen zu.
Sofort ließ er den Stoffstreifen los und zog sich von Viburn zurück.
Probeweise schüttelte ich den Kopf, zuckte die Schultern, streckte die flache Hand aus. Ich bewirkte nur ein mißtrauisches Stirnrunzeln bei unserem Gefangenen. Da ging ich um das Feuer herum, ergriff seine Hand, legte sie auf Viburns Verband und sagte: »Hm!«
Der Kleine blickte noch einmal zweifelnd zu mir auf, dann begann er, die Streifen aufzuschnüren. Sofort kam sein Gefährte, Mams, zu ihm herüber und hockte sich neben ihn. Mit geschickten Fingern zogen sie das Moos von den Wunden. Dann betasteten sie mit den Fingerkuppen vorsichtig die weiße Haut. Nipper zeigte auf das Moos, danach auf die Wunden. Anschließend hob er die Handfläche vor die Augen und schwenkte sie hin und her in einer Geste, mit der man üblicherweise einem Gegenüber zu verstehen gibt, wie wenig man von seinen Verstandeskräften hält.
»Er findet deinen Verband nicht gut, glaube ich«, sagte Mädchen zu Larix gewandt.
»Das habe ich schon selbst begriffen«, versetzte der Zwerg. »Der kleine Lümmel hat sich ja recht deutlich ausgedrückt.«
Nipper ging langsam zur Tür der Hütte, wobei er mich unverwandt aus seinen großen Augen ansah.
ich ahmte die Geste nach, die ich eben bei den Kleinen beobachtet hatte und schwenkte die Hand vor dem Gesicht, der kleine Mann blieb stehen. Er zeigte auf Viburn, dann auf sich, dann zur Tür hinaus.
»Er will etwas von draußen holen«, sagte Elgor.
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