Die Gärten des Mondes
den Träger der Münze zu schützen, doch natürlich reichte das nicht aus, um zu verhindern, dass sie den Jungen tötete - umso weniger, da der Assassine in der Stadt zurückgelassen worden war.
Doch irgendetwas nagte an Leida; ein unbestimmter Verdacht, dass die Gruppe einer Gefahr entgegenritt - einer Gefahr, die sie ebenfalls bedrohte. Nachdem sie Sorgenstadt hinter sich gelassen hatte, beschleunigte sie ihre Schritte. Und sobald auf der Straße niemand mehr zu sehen war, öffnete sie ihr Schatten-Gewirr und schlüpfte in seine raschen Bahnen.
Für die Mandata unterschied sich der Hügel, dem sie sich näherten, in nichts von den anderen. Seine grasbewachsene Kuppe wurde von den umstehenden Erhebungen überragt. Ein halbes Dutzend knorriger, windzerzauster Krüppeleichen zog sich auf einer Seite inmitten einer Geröllhalde aus zerborstenen Felsblöcken den Hang hinauf. Die Kuppe selbst war flach und ungefähr kreisförmig, und hier und dort ragten Felsen aus dem Boden.
Über ihr kreisten Raben, so hoch, dass sie nicht mehr waren als schwarze Punkte vor einem dumpfen grauen Himmel. Lorn beobachtete Tool, der neben ihr dahinschritt; der Imass hielt unerschütterlich auf den Fuß des Hügels zu. Sie sackte im Sattel in sich zusammen, fühlte sich von der Welt um sie herum besiegt. Die mittägliche Hitze zehrte an ihrer Kraft, und die Trägheit erfasste allmählich auch ihre Gedanken. Das war nicht Oponns Werk, wie sie sehr wohl wusste. Es war vielmehr das alles beherrschende Grauen, das in der Luft lag -das Gefühl, dass das, was sie vorhatten, falsch war ... schrecklich falsch sogar.
Diesen Jaghut-Tyrannen dem Feind des Imperiums entgegenzuschleudern, darauf zu vertrauen, dass der Tiste Andii namens Anomander Rake ihn vernichten konnte - wenn auch um einen hohen Preis, da sich für die malazanische Zauberei Mittel und Wege ergeben mochten, den vom Kampf geschwächten Sohn der Dunkelheit zu töten -, dieser Plan erschien ihr jetzt überstürzt, ja geradezu absurd in seinem Ehrgeiz.
Tool hatte den Fuß des Hügels erreicht und wartete auf sie. Neben seinen fellumwickelten Füßen ragte ein grauer Felsen vielleicht zehn Zoll aus dem Boden.
»Mandata«, sagte der Imass, »das ist der gesuchte Hinweis auf die Grabstätte.«
Sie wölbte eine Augenbraue. »Es gibt hier kaum Mutterboden«, sagte sie. »Willst du etwa sagen, dass dieser Menhir durch Verwitterung zu seiner gegenwärtigen Größe geschrumpft ist?«
»Der Stein ist nicht verwittert«, sagte Tool. »Er hat schon hier gestanden, bevor das Eis gekommen ist, um dieses Land zu bedecken. Er hat schon hier gestanden, als die Rhivi-Ebene noch ein Binnenmeer war, das Binnenmeer, von dem jetzt nur noch der Azur-See übrig geblieben ist. Mandata, der Stein ist in Wirklichkeit größer als wir beide zusammen, und was Ihr für Grundgestein haltet, ist Schiefer.«
Lorn war überrascht, dass sie so etwas wie Zorn in Tools Worten mitschwingen hörte. Sie stieg ab und band ihrem Pferd die Vorderbeine zusammen. »Wie lange bleiben wir hier?«
»Bis dieser Abend vorbei ist. In der Morgendämmerung werde ich den Weg öffnen, Mandata.«
Ganz schwach drangen die Schreie der Raben an ihr Ohr. Lorn hob den Kopf und starrte die Punkte an, die hoch über ihnen kreisten. Sie begleiteten sie schon seit Tagen. War das ungewöhnlich? Sie wusste es nicht. Achselzuckend sattelte sie die Pferde ab.
Der Imass blieb vollkommen reglos stehen; sein Blick schien förmlich an dem Stein zu kleben.
Lorn machte sich daran, ihr Nachtlager vorzubereiten. Zwischen den Krüppeleichen fand sie Reisig und Holz für ein kleines Kochfeuer. Das Holz war trocken und verwittert; es würde wenig Rauch entwickeln. Zwar rechnete sie nicht damit, hier draußen in den Hügeln jemandem zu begegnen, doch Vorsicht war ihr zur zweiten Natur geworden. Noch ehe die Abenddämmerung hereinbrach, fand sie einen nahe gelegenen Hügel, der alle anderen überragte, und stieg auf seinen Gipfel. Von hier aus konnte sie meilenweit in jede Richtung sehen. Die Hügel zogen sich weiter gen Süden, gingen im Südosten in Steppe über. Genau im Osten von ihnen erstreckte sich die Catlin-Ebene; sie war - so weit sie sehen konnte - bar allen Lebens.
Lorn wandte sich nach Norden. Der Wald, den sie vor ein paar Tagen umgangen hatten, war noch immer zu sehen, eine dunkle Linie, die dort, wo sie sich nach Westen auf das Tahlyn-Gebirge zuschwang, breiter wurde. Sie setzte sich hin und wartete, bis es dunkel wurde.
Weitere Kostenlose Bücher