Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
sah nicht so aus, als hätte er eine Wahl.
»Sei kein Narr … Baruch«, keuchte der Marine, umklammerte Jeremiels Unterarm mit eisernem Griff und bemühte sich, die Pistole von sich abzuwenden. »Gib auf. Die Magistraten …«
»Werden mich am höchsten Baum aufknüpfen.«
»Du kriegst eine Verhandlung.«
Der Marine richtete sich gewaltsam auf und stieß mit dem Ellbogen mehrmals gegen Jeremiels Schläfe. Ein Blitz schoß durch seinen Kopf und betäubte ihn für einen Moment. Der Soldat wand ihm die Pistole aus der Hand, schob sich unter ihm hervor, rollte zur Seite und kam unsicher auf die Füße.
»Du verdammter Mistkerl«, zischte er und zielte auf Jeremiels Bauch. »Du hast gerade dein Todesurteil unterschrieben.«
Jeremiel setzte sich auf und registrierte geistesabwesend, daß ihm Blut heiß über das Gesicht lief. Er spannte sich innerlich in Erwartung des Schusses. Als dieser nicht kam, blickte er den Marine fragend an. Der Mann stand schwer atmend da und betrachtete ihn mit harten grünen Augen.
»Hast du vor, die Belohnung zu kassieren?« fragte Jeremiel und holte tief Luft. Das schien die einzige Erklärung zu sein, warum er noch nicht tot war. Ganz tief in seiner Seele schien irgend etwas den Gedanken an den Tod mit Erleichterung zu begrüßen, doch sein anderes Ich schrie, er solle auf die Beine kommen und irgend etwas unternehmen.
Der Marine knirschte mit den Zähnen. »Geht nicht. Regierungsbedienstete sind von Prämien ausgeschlossen.«
»Das werde ich mir merken.«
»Glaub ja nicht, daß es dir noch etwas nützen wird, mein Freund. Wir schicken dich geradewegs in die neurophysiologische Abteilung.« Er lächelte grimmig. »Nachdem du dort ›gesungen‹ hast, wirst du dich nie wieder an irgend etwas erinnern müssen.«
»Darauf kann man sich ja richtig freuen«, erwiderte Jeremiel. Er versuchte, auf die Füße zu kommen, landete aber wieder auf dem Rücken.
»Steh auf.«
»Gib mir nur eine Sekunde …«
»Ich sagte, steh auf!« rief der Marine und machte drohend einen Schritt vorwärts.
Jeremiel schwang blitzschnell herum und trat dem Marine in die Kniekehlen, was ihn in Richtung des auf der Straße liegenden Gewehrs taumeln ließ. Jeremiel sprang ihm nach, stieß die Pistole zur Seite und griff gleichzeitig nach dem Gewehr. Als er den Lauf packte, traf der Marine mit einem harten Faustschlag seinen Solarplexus. Grunzend und keuchend rollten sie übereinander, bis Jeremiel schließlich die Oberhand gewann. Er drückte die Flinte quer auf die Kehle des Soldaten und lehnte sich mit seinen ganzen zweihundert Pfund auf den Lauf. Der Marine wand sich und strampelte wild mit den Füßen.
Als der Soldat die Augen verdrehte und seine Arme kraftlos heruntersanken, zog Jeremiel das Messer aus seinem Stiefel und durchschnitt rasch die Kehle des Mannes. Er wischte die Klinge an der purpurnen Kleidung des Marines ab und zerrte ihn dann zu dem Brombeergesträuch hinüber. Auf dem Bürgersteig glitzerte eine Blutlache schwach im Licht, aber wenigstens war die Leiche versteckt.
Jeremiel zog sich die Kapuze über den Kopf, um sein blondes Haar zu verbergen, schlüpfte zwischen den Zweigen hindurch auf die andere Seite und schlich dann lautlos im schwarzen Schatten der nierenförmigen Hecke entlang. Dabei fragte er sich, wo die anderen Marines sein mochten. Warum waren sie nicht hergekommen? Hatten sie ein Ablenkungsmanöver erwartet und daher dem Team im Hinterhalt eingeschärft, auf keinen Fall den Posten zu verlassen? Oder beobachteten sie ihn im Moment und warteten auf die günstigste Gelegenheit zum Schuß?
Er schob diesen Gedanken beiseite und beschleunigte seinen Marsch durch das Gebüsch. Als er das Ende erreichte, legte er sich auf den Bauch und blickte sich prüfend um. Er hatte den Rand des Gebäudekomplexes bereits hinter sich gelassen. Der Hügel erhob sich nur fünfzig Yards entfernt, doch er würde über eine fast baumlose und von nassem Gras bedeckte Fläche laufen müssen.
Er wischte sich den Schweiß aus den Augen und warf einen Blick auf die Umgebung. Nebel verdeckte den größten Teil des Platzes und kräuselte sich um die einzelne, bläulich schimmernde Lampe, die das Feld erhellte. Nichts rührte sich.
Doch eine innere Stimme warnte ihn vor einem Hinterhalt. »Verdammt, ihr seid dort draußen. Ich weiß es.«
Er rollte sich zur Seite, zog die Pistole und stützte sie auf einen dicken Zweig. Dann ließ er den Scanner des Zielfernrohrs langsam herumwandern. Rote Punkte zeigten
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