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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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spürte, wie das Blut ihr in die Wangen schoss.
    «Nicht heute, Meister! Lass mir diesen letzten Abend mit meinem Schatz.»
    Er hakte sich bei Agnes unter und schob sie, ohne auf die Verwünschungen des Grauhaarigen zu achten, in eine schmale Seitengasse, die zu einem Durchlass in der Stadtmauer führte. Dort, geschützt vor den Blicken der heimkehrenden Bürger, beugte er sich wieder über sie. Doch Agnes schüttelte seinen Arm ab. Ihre dunkelblauen Augen funkelten.
    «Was soll das heißen – letzter Abend? Zieht ihr etwa weiter?»
    «Hatte ich dir das gestern nicht gesagt?» Elegant zog er die geschwungenen Brauen in die Höhe.
    «Nein, hast du nicht!» Sie verschränkte die Arme. «Und wahrscheinlich hättest du es mir auch heute Abend verschwiegen. Wärst morgen früh sang- und klanglos verschwunden.»
    «Ach, Unsinn. Es ist nur   –», er geriet ins Stottern, «der Prinzipal hat es heute erst entschieden.»
    Er nahm ihre Hand, und sie traten durch die Pforte auf den Hirschgraben hinaus. «Du hast doch selbst gesehen, dass wir kaum noch einen Hund hinter dem Ofen vorlocken. Kann ich sogar verstehen. Diese entsetzlich plumpen Moralitäten, ohne Witz und Attraktion. Und meine neckisch-verlogenen Schäferliedchen stehen mir selbst schon bis zum Hals.» Er lächelte sie an. «Aber ich verspreche dir: Spätestens zum Martinimarkt bin ich wieder in Ravensburg. Und in der Zwischenzeit werde ich keine andere Frau auch nur eines Blickes würdigen.»
    Vergebens suchte sie ihre Enttäuschung zu überspielen. Viel zu kurz war er in Ravensburg gewesen, fünf Tage nur, an denen sie sich heimlich vormittags vor der Stadt getroffen hatten. Wie schwer war es ihr gefallen, bei der Aufführung vorgestern, ihren Eltern gegenüber zu verbergen, dass sie den Sänger kannte. Dass sie ihn liebte, seit er sie beim Frühjahrsmarkt keck und unverhohlen angesprochen hatte, in Gegenwart all ihrer Freundinnen. Und jetzt sollte sie schon wieder viele, viele Wochen warten, bis sie wieder zusammen sein konnten?
    «Nun sieh mich nicht so an, Prinzessin. Nur du bist mir wichtig in dieser heillosen Welt.» Er bedeckte ihren Hals und ihre Schultern mit Küssen. «Weißt du, in was ich mich damals zuerst verliebt habe? In deine Augen. Sie haben das Blau eines wolkenlosen Sommertages, eines im Wind wogenden Kornblumenfeldes   –»
    «Es wird gleich dunkel», unterbrach sie ihn. «Ich muss nach Hause.»
    Unvermittelt ließ er sie los und kniete jetzt tatsächlich vor ihrnieder, mit glühendem Blick, die Arme ihr theatralisch entgegengereckt.
    «Komm mit zum Fluss, in unser Lager. Ich flehe dich an: Lass uns diese letzte Nacht zusammen verbringen.»
    Ihr schwindelte. Dieser Gedanke war ungeheuerlich. Sie wusste, was eine Nacht mit Kaspar bedeutete. Er war keiner der Nachbarburschen, die sie seit einigen Jahren umschwärmten und mit denen sie spielen konnte, wie es ihr gefiel. Die sie nach Belieben an sich heranlassen und wieder abweisen konnte. Kaspar war ein Mann, und er wollte sie als Frau. Sie wusste genau Bescheid um diese Dinge, hatte oft genug von sich aus die Burschen gedrängt, weiter zu gehen, als es schicklich war. Doch bis zu dem, was der Pfarrer in der Kirche mit hochrotem Kopf «Kopulation» nannte, hatte sie es niemals kommen lassen.
    Und dann – ihre Eltern! Vielleicht hatten die längst entdeckt, dass sie verschwunden war, und erwarteten sie nun voller Zorn zu Hause. Nicht auszudenken, wenn sie die ganze Nacht fortbliebe. Umbringen würden ihre Eltern sie.
    Ein mächtiger Donnerschlag ließ sie zusammenzucken. Gleich darauf begann es zu regnen. Beherzt zog sie Kaspar zu sich heran.
    «Gehen wir.»

2
    «Wie konntest du so etwas Schamloses tun?» Aus Marthe-Maries Lippen war alle Farbe verschwunden.
    Agnes hob den Kopf. Ihre Wange brannte noch immer. Zwar war ihre Mutter mit Maulschellen stets schneller zur Hand gewesen als ihr Vater, doch es war Jahre her, dass sie zuletzt eine gefangen hatte.
    «Was hätte ich tun sollen?» Agnes’ Stimme zitterte. DerSchreck saß ihr noch in den Gliedern, seit sie bei Morgengrauen heimgeschlichen war, über den Altan zurück in das Zimmer der Brüder – und dort auf ihren Vater gestoßen war. Im Lehnstuhl hatte er gesessen, hellwach, mit rotgeränderten Augen, und auf sie gewartet.
    «Es ist, wie ich’s sage. Die Leute von der Theatertruppe wollten mir das Lager zeigen, und dann kam dieses Unwetter dazwischen.»
    Jonas schlug die Faust auf den Küchentisch, dass es krachte. «Hör endlich auf!

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