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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Darum geht es gar nicht. Du hast uns belogen und betrogen. Einfach nachts davonschleichen, sich einem hergelaufenen Landstreicher an den Hals werfen! Bist du überhaupt noch ganz bei Sinnen?»
    «Kaspar ist kein Landstreicher. Er ist Sänger! Und er weiß ganz genau, was er will.»
    «Oh, das kann ich mir denken. Dummen jungen Gänsen den Kopf verdrehen, um sie dann aufs Kreuz zu legen.» Jonas war aufgesprungen und lief erregt in der Küche auf und ab. «Ich hab ihn doch gesehen, ihn und diese elende Vagantentruppe. Ein ausgekochter Hallodri ist das, nichts weiter.»
    «Nein!» Agnes sprang vom Stuhl auf. «Er meint es ernst mit mir.»
    «Ein Komödiant meint es niemals ernst», entgegnete ihre Mutter tonlos. Sie wirkte plötzlich alt, wie sie da mit gesenkten Schultern hinter der Stuhllehne stand. «Wir können alle nur bei Gott hoffen, dass du in dieser einen Nacht nicht dein ganzes Leben verpfuscht hast. Du wirst ihn nie wieder sehen. Du wirst seinen Namen in diesem Haus nie wieder erwähnen. Hast du verstanden?»
    In einem Sturm der Wut und Enttäuschung sah Agnes ihrer Mutter in die Augen. «Wie kannst du nur so reden? Hast du vergessen, dass du selbst einst bei Gauklern gelebt hast? Dass ich bei diesen Leuten aufgewachsen bin? Hast du das alles vergessen?»
    «Auf deine Kammer!» Jetzt war es Marthe-Maries Stimme, die bebte. «Sofort! Und für den Rest der Woche verlässt du nicht mehr das Haus.»
    Hilfesuchend sah Agnes zu ihrem Vater. Doch auch dessen Blick war starr und abweisend. So verkniff sie sich jedes weitere Wort und ging stumm zur Tür. Ihr Vater fasste sie bei der Schulter.
    «Nächsten Sonntag sind wir bei Ulrichs Eltern zum Essen eingeladen. Ich hoffe, du weißt, wie du dich dort zu benehmen hast.»
    Ulrich Nägli! Sie musste an sich halten, dass sie nicht hinter sich die Tür ins Schloss krachen ließ. Dann hatten sich die Eltern also schon abgesprochen, war die Heiratsabrede beschlossene Sache. Aber nicht mit ihr. Lieber würde sie konvertieren und zu den Franziskanerinnen ins Kloster gehen.
    Agnes kannte Ulrich, den Kaufmannssohn aus der Nachbargasse, seit Kindertagen, und im Grunde mochte sie ihn. Die ersten unbeholfenen Zärtlichkeiten hatte sie mit ihm ausgetauscht, sogar den ersten richtigen Kuss gewagt. Aber er war ein Langweiler, gutmütig, blass und etwas dicklich, der seine Nase nur zum Essen und Schlafen aus dem Kontor seines Vaters steckte. Kein Vergleich mit einem Mann wie Kaspar!
    Sie verriegelte die Kammertür und warf sich auf ihr Bett. Wie scheinheilig ihre Eltern waren, scheinheilig und dünkelhaft. Stellten Kaspar als Landstreicher hin. Dabei hatte ihre Mutter selbst einmal in höchster Gefahr Zuflucht gefunden bei einer Komödiantentruppe! Sie war von diesen Menschen aufgenommen worden, als wäre sie eine von ihnen. Agnes selbst konnte sich nicht mehr daran erinnern; sie war ja erst zwei, drei Jahre alt gewesen. Doch Marthe-Marie hatte ihr eines Tages davon erzählt: Wie sie mit ihr aus Freiburg hatte fliehen müssen, als dort einmal mehr der Hexenwahn aufloderte, dieser entsetzliche Wahn, der Marthe-Maries Mutter auf den Scheiterhaufen gebracht hatte.Wie sie außerdem von einem Wahnsinnigen verfolgt worden war, der ihr, der vermeintlichen Hexentochter, nach dem Leben trachtete. Wie sie dann zwei Jahre lang im Schutze von Leonhard Sonntags Compagnie durch die Lande gezogen waren, immer tiefer in Hunger und Elend gerieten, bis Marthe-Marie beinahe vergessen hatte, dass sie eigentlich einer angesehenen Familie entstammte, und sich selbst zu den Unehrlichen, zu den Rechtlosen zählte. Es musste eine schlimme Zeit für ihre Mutter gewesen sein, und doch war es die Zeit, die ihrem Leben schließlich die glückliche Wende gebracht hatte: Hier in Ravensburg war Marthe-Marie überraschend auf ihren verloren gewähnten Vater gestoßen. Und sie hatte auf ihrer Flucht Jonas Marx kennen gelernt.
    Agnes schnaubte. Selbst das schienen ihre scheinheiligen Eltern vergessen zu haben: dass auch der Vater eine Zeit lang bei den Gauklern gelebt hatte, aus lauter Liebe zu ihrer Mutter. Und noch etwas wusste Agnes: Beinahe hätte Marthe-Marie ihr Herz an einen echten Gaukler verloren, einen Komödianten namens Diego. Das allerdings hatte sie nicht von ihrer Mutter erfahren, sondern von Lisbeth, Leonhard Sonntags Tochter. Vorletzten Sommer nämlich hatte Sonntags Truppe nach vielen, vielen Jahren wieder in Ravensburg gastiert, und es war zu einem ergreifenden Wiedersehen gekommen. Als Agnes und die

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