Die Geächteten
ein schwacher, flüchtiger Blick auf das, was das Einssein mit Gott sein könnte. An diesem Morgen mit Aidan hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben echte Begeisterung empfunden.
Und heute Nacht, das wurde ihr schmerzhaft bewusst, musste sie ihn verlassen.
Als sie wieder ins Schlafzimmer kam, schlief er immer noch. Sie blieb an der Tür stehen, blickte auf ihn im Licht herab, das durch das Badezimmerfenster fiel. Ihre Augen bestätigten, was ihre Hände ihr bereits erzählt hatten: Er war dünn geworden, eigentlich schon mager. Aber selbst so war er schön. Wenn irgendetwas ihm die starke Anziehungskraft des Vergänglichen verlieh, dann war es seine Zerbrechlichkeit: ein Glühwürmchen, eine Rose in voller Blüte, deren Schönheit das Herz berührt, weil sie bald vergangen sein wird. Sie zitterte bei diesem Gedanken.
Aidan rührte sich, und sie schlüpfte ins Zimmer und schloss die Tür, bevor er sie sehen konnte. »Ich friere«, sagte sie und schlüpfte ins Bett. »Komm zu mir.«
Er stand auf, stolperte, stieß sich ein Knie oder den Ellenbogen am Bettpfosten. »Aua!« Ein klägliches Lachen. »Du hättest mich meine Hose aus dem Weg räumen lassen sollen.«
»Ich war in Eile.«
Er legte sich zu ihr und zog sie an sich. »Du musst dich nicht mehr beeilen, meine Geliebte, niemals wieder. Wir haben ein ganzes langes Leben vor uns.« Sie bewegte sich nicht und sagte auch nichts, doch Aidans Körper spannte sich an. »Was ist los?«
Ein Teil von ihr wollte ihn anlügen, ihm dies an diesem letzten gemeinsamen Tag schenken, unbelastet von dem Wissen, dass sie sich trennen mussten. Doch schließlich sah sie ein, dass sie das nicht tun konnte. Sie war an einem Punkt angekommen, wo die Wahrheit alles war, was sie anbieten konnte, selbst wenn diese schwer zu ertragen war. Und so löste sie sich aus seiner Umarmung und erzählte ihm alles: über ihr Martyrium im Zentrum des Geraden Weges, ihr Fast-Kidnapping durch die Faustkämpfer, ihre Befreiung durch Fremde (sie sagte nur, dass es sich um eine Gruppe handelte, die in Opposition zu den Faustkämpfern stehe), ihre Flucht aus Texas, dass sie fast versklavt und von Farooq fast vergewaltigt worden war. Sie ersparte ihm ihr Liebesabenteuer mit Simone, aber keines ihrer Probleme, auch wenn sie wusste, dass ihn das verletzen würde. Nur die volle Wahrheit würde bewirken können, dass er sie schließlich gehen lassen könnte.
Ihr Bericht wühlte ihn auf, unruhig bewegte er sich im Bett, und hin und wieder schrie er vor Entsetzen und Kummer auf. Hannah endete mit ihrer Ankunft in diesem Haus. Sie wollte den Moment hinauszögern, in dem sie über die Zukunft sprechen würden. Aidan lag schweigend da. Sie suchte seine Hand, die eiskalt war. Sein ganzer Körper war kalt und klebrig, und sie wickelte ihren Körper um ihn, um ihn zu wärmen.
Er atmete tief aus. »Wie kannst du mir jemals vergeben?«, fragte er.
Sie hatte geahnt, dass er dies fragen würde, doch nichtsdestotrotz ärgerte sie sich darüber.
»Es gibt nichts zu vergeben, Aidan. Ich bin kein Kind, dem du Böses angetan hast oder das du auf Abwege geführt hast.« Sie spürte, wie er sich anspannte, und ihr Ton wurde sanfter. »Was ich damit sagen will, was ich möchte, das du verstehst, ist, dass ich auf meinem Weg immer meine eigene Wahl getroffen habe, mich für das entschieden habe, was sich für mich richtig anfühlte. Und ich bin darauf vorbereitet, mit den Konsequenzen zu leben. Womit ich nie wieder leben möchte, sind Scham und Bedauern, und ich hoffe, es geht dir genauso.«
»Du klingst … anders. Verändert.« Hörte sie in seiner Stimme Betroffenheit?
»Ich bin es«, sagte sie. »Mehr, als du weißt.«
»Du bist so stark, so sicher.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie verloren ich mich in den vergangenen sechs Monaten gefühlt habe. Ich habe alles in Zweifel gezogen: dich, meine Eltern, Gott. Vor allem mich selbst.«
»In Zweifel gezogen«, sagte Aidan. »Vergangenheitsform.« Die Freude in seiner Stimme zerrte an ihren Nerven.
»Ja. Vergangenheitsform.« Wie es Aidan selbst bald sein würde. Hannahs Augen brannten, und sie schloss sie fest. Er hatte nicht vorausgedacht, wohin ihre Geschichte zwangsläufig führte, hatte den Ort noch nicht gesehen, wo ihre Wege sich trennen würden. Schon sehr bald musste sie ihn dorthin bringen und sein Glück ein für alle Mal auslöschen. Aber noch nicht jetzt. Nur ein ganz kleines bisschen länger erlaubte sie ihm die Seligkeit
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