Heißer als der Wuestenwind
1. Kapitel
Tiefe Dunkelheit senkte sich über die Wüste, als der schwarze Geländewagen vor dem Gasthof hielt, einem großen, aber schlichten Gebäude mitten im Dorf. Die Rundbögen und Pfeiler im Innenhof waren mit Blumengirlanden geschmückt, und in den üppigen Palmen hingen Lichterketten. Leise Folkloreklänge wehten zu Scheich Nadir ibn Shihab herüber, und ein Feuerwerk erleuchtete den Abendhimmel und kündigte seine Ankunft an.
Es war Zeit, seine Braut zu treffen.
Nadir verspürte weder Vorfreude noch Neugier oder Furcht. Eine Frau zu heiraten war für ihn Mittel zum Zweck. Seine Wahl basierte nicht auf Gefühlen, sondern auf einem Arrangement, auf das er sich wegen einer einzigen übereilten emotionalen Reaktion vor zwei Jahren eingelassen hatte.
Er schob seine Gedanken beiseite, weil er jetzt nicht über die Ungerechtigkeit nachdenken wollte. Mit dieser Heirat würde er seinen Ruf wiederherstellen, und niemand im Königreich Jazaar würde den Schritt infrage stellen, durch den er sich der traditionellen Lebensweise verpflichtete.
Nadir stieg aus dem Wagen. Seine Dishdasha , ein hemdartiges, bodenlanges Gewand, klebte an seinem muskulösen Körper, sein schwarzer Umhang und der weiße Kopfschmuck bauschten sich im Wind. Nadir fühlte sich fremd in der traditionellen Kleidung, aber an diesem Tag trug er sie aus Respekt vor der landesüblichen Sitte.
Er sah, dass sein jüngerer Bruder sich näherte. Nadir musste bei dem ungewohnten Anblick lächeln, den Rashid in der ebenfalls traditionellen Kleidung bot. Sie umarmten sich zur Begrüßung.
„Du bist sehr spät dran für deine Hochzeit“, sagte Rashid leise.
„Sie fängt ja nicht ohne mich an“, erwiderte Nadir und trat zurück.
Rashid konnte über die Arroganz seines Bruders nur den Kopf schütteln. „Ich meine es ernst, Nadir. So kannst du den Stamm nicht umstimmen.“
„Dessen bin ich mir bewusst. Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte.“ Er hatte fast den ganzen Tag damit zugebracht, mit zwei verfeindeten Stämmen über ein Stück Land zu verhandeln. Und das war wichtiger als ein Hochzeitsfest. Selbst wenn es dabei um seine eigene Hochzeit ging.
„Das reicht nicht für die Ältesten“, sagte Rashid, als sie zum Hotel gingen. „In ihren Augen hast du dich ihnen gegenüber vor zwei Jahren äußerst respektlos gezeigt. Sie werden dir deine Unpünktlichkeit nicht verzeihen.“
Nadir war nicht in der Stimmung, sich Belehrungen von seinem jüngeren Bruder anzuhören. „Ich heirate die Frau, die sie ausgewählt haben, oder nicht?“
Die Heirat diente dem Zweck einer politischen Verbindung mit einem einflussreichen Stamm, der ihn respektierte und gleichzeitig fürchtete. Nadir hatte gehört, dass man ihn in diesem Teil der Wüste die Bestie nannte. Und als wollten sie einen Dämon beschwichtigen, waren die Ältesten bereit gewesen, eine Jungfrau zu opfern und ihm zur Braut zu geben.
Nadir näherte sich der Reihe der Ältesten, die in ihre besten Gewänder gekleidet waren. Die ernsten Mienen der Männer zeigten ihm, dass Rashid recht hatte. Sie waren nicht glücklich mit ihm. Wäre der Stamm nicht so wichtig für seine Modernisierungspläne in diesem Land, hätte Nadir seine Existenz schlicht ignoriert.
„Ich bitte ergebenst um Verzeihung.“ Nadir begrüßte den Ältestenrat, verbeugte sich tief und drückte sein Bedauern über seine Verspätung aus. Es war ihm egal, ob diese Männer beleidigt waren, weil er so spät kam; trotzdem musste er sich den Gepflogenheiten beugen und sich diplomatisch verhalten.
Höflich geleiteten die Ältesten ihn in den Innenhof, als der altertümliche Gesang, begleitet von Trommeln, die Luft erfüllte. Auch wenn Nadir tief im Inneren davon berührt wurde, stimmte er nicht ein. Zwar waren die Gäste glücklich darüber, dass der Scheich eine der ihren heiratete, er selbst war jedoch nicht erfreut über den Lauf der Ereignisse.
„Weißt du irgendetwas über die Braut?“, flüsterte Rashid seinem Bruder ins Ohr. „Was ist, wenn sie sich als unpassend erweist?“
„Das ist nicht wichtig“, erklärte Nadir ruhig. „Ich habe nicht vor, mit ihr als Mann und Frau zu leben. Ich werde sie heiraten und in mein Bett nehmen. Wenn die Hochzeitszeremonie erst einmal vorbei ist, wird sie im Sultanspalast im Harem leben. Ihr wird es an nichts fehlen, und ich habe meine Freiheit. Wenn alles gut geht, werden wir einander nie wieder zu Gesicht bekommen.“
Nadirs Blick schweifte über die Menge. Die Männer, in
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