Die Geächteten
auch wenn er es sich nicht anmerken ließ.
»Ich bin noch nicht so weit, Aidan«, sagte sie. »Bitte mach, worum ich dich bitte.«
Sie wartete. Die Tür ging zu und tauchte sie in absolute Dunkelheit. Er blieb neben der Tür stehen, atmete laut und unregelmäßig. Sie konnte fühlen, wie seine Unsicherheit mit seinem Bedürfnis kämpfte. Sich an seinen Atemgeräuschen orientierend ging sie zu ihm. Ihre ausgestreckten Hände fanden seine Brust, bewegten sich zu seinem Gesicht. Seine Arme umschlossen sie, und er stöhnte, als seine Hände ihre Nacktheit erfassten. Er hauchte ihren Namen, einmal, und dann drückte er sie fest an sich und küsste sie auf den Kopf, küsste ihre Brauen, ihre Wangen, ihre Lippen, ihren Hals. Er stöhnte und fiel auf die Knie, er schlang seine Arme fest um ihre Taille, drückte sein Gesicht in ihren Bauch. Sie spürte seine nassen Tränen auf ihrer Haut, sie spürte seinen feuchten Mund, der sich seinen Weg abwärts bahnte. Doch das war es nicht, was sie jetzt wollte, und auch nicht das, was ihr Körper verlangte, und so ließ sie sich auf die Knie fallen und küsste ihn, zog seine Zunge in ihren Mund, öffnete den Reißverschluss seiner Hose und zog ihn zu sich herunter, in den aufgewühlten, wogenden Fluss, der ihr Körper war. Die Strömung spülte sie hoch und trug sie nach Hause.
Einige Zeit später stand Hannah vorsichtig auf. Um ihn nicht zu wecken, vermied sie es, vor Schmerzen zu stöhnen. Im Nachhinein war der Holzfußboden nicht der beste Ort gewesen, um miteinander zu schlafen, zumindest was ihr schmerzendes Hinterteil anbetraf. Auf Zehenspitzen ging sie aus dem Zimmer, schloss hinter sich die Tür und ging den Flur entlang und die Treppe hinunter, um sich ein Glas Wasser zu holen. Es war vielleicht nicht gerade schicklich, nackt durch Aidans beziehungsweise Alyssas Haus zu laufen, doch es gab Hannah ein Gefühl von Macht, eine tiefe und primitive Befriedigung. Sie war sich sicher, dass keiner von beiden jemals unbekleidet diesen Flur oder irgendeinen anderen Flur irgendeines Hauses, in dem sie jemals gelebt hatten, hinuntergegangen war. Selbst in der Dunkelheit, selbst wenn sie ganz allein wären, würden sie sich etwas überziehen. Früher hätte Hannah das auch getan, aber dieser Mensch war sie nicht mehr.
Nach der Uhr in der Küche war es gerade mal elf Uhr vormittags. In einer Schale auf der Arbeitsfläche lag eine völlig braune Banane. Sie schälte sie und schluckte sie mit drei Bissen hinunter. Seit den Keksen im Büro von Pastorin Easter hatte sie nichts mehr gegessen, und davor das letzte Mal gestern Nachmittag, als sie sich ein durchweichtes halbes Sandwich und einen Beutel Chips in den Mund gestopft hatte, bevor sie Greensboro verlassen hatte. Sie blickte sehnsüchtig auf den Kühlschrank und die Kaffeemaschine, begnügte sich aber mit der Banane und Wasser. Dann ging sie die Treppe wieder hinauf, um zu duschen. Sie wagte nicht zu trödeln, denn Aidan konnte aufwachen und sie suchen, und sie wollte nicht, dass er sie so sah, noch nicht.
Und vielleicht auch nie , dachte sie, während sie ihr grelles Spiegelbild im Badezimmerspiegel betrachtete. Weshalb den Zauber brechen und besudeln, was sie geteilt hatten, warum ihre Erinnerungen beflecken? Für sie war ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. Ihre Vereinigung war absolut vollkommen gewesen. Und wie die mit Simone heilend. Männer betrachteten Hannah als Gegenstand, seit sie verchromt worden war, wie eine Sache, die man benutzte und dann wieder entsorgte. Das Zusammensein mit Aidan hatte diese Hässlichkeit aufgehoben und wieder ein Gleichgewicht hergestellt, das ihr abhandengekommen war. Es hatte sie von ihrem Hass gereinigt.
In der Vergangenheit hatte sie ihre gemeinsamen Liebesstunden als einen intimen Übergriff betrachtet, als eine Art Piercing – nicht nur ihres Körpers, sondern auch ihres Seins. Sie hatte es willkommen geheißen, auch wenn die Einstichwunden niemals ganz verheilten und ein kleiner Teil von ihr stets mit Schmerz zurückblieb, leer blieb. Doch heute war es anders gewesen. Heute hatte sie in einigen wenigen kostbaren Augenblicken das Gefühl gehabt, dass sie und Aidan wirklich eins waren: dass er in ihrem Inneren war und sie in ihm. Ihr fiel seine Vision wieder ein: Wir standen Seite an Seite in einem Kreis goldenen Lichtes. Und ich wusste, wenn ich dieses Licht in meiner Hand festhalten könnte, dann wäre ich mit dir, mit Gott für immer verbunden . Vielleicht war das die sterbliche Liebe:
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