Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hillary Jordan
Vom Netzwerk:
beobachtete Hannahs Gesicht, als wäre es ein besonders interessantes Ausstellungsstück eines Museums. »Ich verstehe, dass du auch den Namen desjenigen, der die Abtreibung vorgenommen hat, verschwiegen hast.«
    »Ich kannte seinen Namen nie«, sagte Hannah.
    Mrs. Henleys Hand machte eine beschwichtigende Geste: »Ich bitte dich nicht darum, den Namen preiszugeben, und ich frage dich auch nicht nach dem Namen des Vaters. Ihre Identität interessiert mich nicht. Doch ich muss über die Details deiner Verfehlung Bescheid wissen, so unangenehm es für dich auch sein mag, darüber zu sprechen, und für mich, es zu hören. Lass uns mit dem Augenblick beginnen, als du ohne Kleider auf dem Tisch lagst – war es ein Tisch?«
    Hannah starrte sie verständnislos an.
    »Wahrheit ist die dritte Tugend, die der Weg von uns verlangt«, sagte Mrs. Henley. Ihre Stimme erinnerte Hannah an Honig, der auf Granit tropft. »Wie der Pastor und ich dir erzählt haben, als du zu uns gekommen bist, ist die Wahrheit nichts, was man sich hier aussuchen kann. Und eine Unterlassungslüge ist auch eine Lüge. Ich frage dich also noch einmal, war es ein Tisch?«
    »Ja.«
    »Zeig mir, wie es war, wie du gelegen hast. Du kannst es auf dem Sofa oder auf dem Fußboden machen, da, wo es dir lieber ist.«
    Hannah war vor Schreck wie gelähmt und konnte sich weder bewegen noch wegschauen. Mrs. Henleys gierige Augen ruhten auf ihren, sogen ihre Scham auf, und Hannah konnte erkennen, dass es in den blauen Tiefen von Mrs. Henleys Augen keinen Grund gab, keinerlei Hindernis, nur einen grenzenlosen, unersättlichen Hunger.
    »Ich habe deinen ersten Schritt ab vom Wege mit Bridget vergessen«, sagte Mrs. Henley, »weil du neu hier warst und unsere Wege dir noch nicht geläufig waren. Doch wenn du mir gegenüber nicht ehrlich sein kannst, Hannah, sehe ich mich gezwungen, daraus zu schließen, dass es sich hier um Trotz und Arglist handelt.«
    Hannah schloss die Augen. Wohin sonst sollte sie gehen? Nirgendwohin. Langsam, ganz mechanisch, legte sie sich auf den Rücken und zog die Knie heran.
    »Die exakte Position, Hannah«, sagte Mrs. Henley verärgert.
    Hannah nahm die Beine auseinander, und alles überflutete sie wieder: der heiße Raum, das Gefühl von kaltem Metall, das in sie eindrang. Sie hörte sich selbst wimmern – dort und jetzt wieder.
    »Schau mich an, Hannah!« Sie drehte den Kopf. Mrs. Henley hatte sich nach vorn gebeugt und ihren Kopf zur Seite geneigt. »Wie hast du dich gefühlt, als du auf den Abtreiber gewartet hast?«
    »Ich wollte sterben«, sagte Hannah, und sie begann in die Tiefen dieses hungrigen Blaus zu fallen.
    Die Befragung ging weiter und weiter. »Wie lange hat es gedauert?«, »Hat es sehr wehgetan?«, »Hast du den abgetriebenen Fötus gesehen?«, »Wie haben deine Eltern reagiert?«, »Wie war das Gefühl, in der Chrom-Station aufzuwachen und dich selbst zum ersten Mal zu sehen?«, »Hast du dir vorgestellt, wie Menschen zu Hause sitzen und dir zusehen?« und wieder und wieder die Frage »Wie hast du dich gefühlt?«. Nach zehn Minuten glaubte Hannah, am Ende ihrer Kräfte zu sein, sie fühlte sich genauso verletzt wie nach der Abtreibung. Im Raum war es stickig und warm, und sie konnte den strengen Geruch ihres eigenen Körpers riechen. Mrs. Henleys Gesichtsfarbe war rosa, und auf ihrer Oberlippe lag ein leichter Glanz, doch abgesehen davon schien es ihr gut zu gehen. Sie ist in ihrem Element , dachte Hannah , wie eine Klapperschlange, die sich auf einem Felsen in der Sonne aalt .
    Schließlich sagte Mrs. Henley: »Du kannst dich wieder hinsetzen, Hannah.«
    Hannah richtete sich auf, sie fühlte sich ein wenig schwindelig.
    »Möchtest du noch etwas Kamillentee, Liebes?«
    »Nein, danke.« Sie hätte lieber Arsen getrunken.
    »Ich muss sagen, eine Sache hat mich doch überrascht. Das war das große Interesse, das Minister Dale an deinem Fall gezeigt hat. Weißt du, dass er persönlich Pastor Henley angerufen hat, um mit ihm über dich zu sprechen? Und dann seine Rede vor Gericht. So eloquent, so … leidenschaftlich.« Mrs. Henley nippte an ihrem Tee, und ihre blauen Augen tanzten fröhlich über dem Rand ihrer Tasse.
    Bestrebt, ihre Stimme neutral klingen zu lassen, sagte Hannah: »Ja, wir alle, meine Familie und ich, sind für seine Freundlichkeit dankbar. Aber so ist Pastor Dale nun mal. Er fühlt sich persönlich für jedes Mitglied seiner Gemeinde verantwortlich.«
    Mrs. Henleys blasse Augenbrauen bildeten zwei

Weitere Kostenlose Bücher