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Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hillary Jordan
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unglaubliche Bögen. »Aber wohl kaum in dem Ausmaß, dass er jedes Mal von Washington, DC, aus anruft, wenn eins seiner Schäfchen verloren geht?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Hannah spürte, wie der Schweiß unter ihrem Kleid am Körper herunterlief, und hoffte, dass Mrs. Henley es nicht sah.
    »Du warst doch auch eine seiner Angestellten, nicht wahr? Hast du Pastor Dale oft gesehen?«
    In dem Moment öffnete sich eine Nebentür, und Ponder Henley betrat den Raum. In seiner Hand trug er ein Notebook, und seine Augen leuchteten vor jungenhaftem Eifer. Er schien Hannah gar nicht wahrzunehmen, seine Aufmerksamkeit galt seiner Frau, die ihre Verärgerung über die Unterbrechung rasch hinter einem entzückten Lächeln verbarg.
    »Du hattest recht«, rief er begeistert aus. »Die Textstellen bei Levitikus machen den entscheidenden Unterschied aus …«
    »Ich bin nicht allein, Ponder. Hannah ist zum Tee gekommen.«
    Pastor Henley sah überrascht aus und dann enttäuscht, seine Frau beschäftigt vorzufinden. »Oh! Gut, ich will dann nicht stören. Ich weiß doch, wie sehr ihr Mädchen eure kleinen Plaudereien liebt.«
    »Stimmt, das tun wir«, stimmte Mrs. Henley zu. »Doch deine Rede ist natürlich sehr viel interessanter, und du weißt, wie gern ich deine Predigten höre.« Unter dem bewundernden Blick seiner Frau blühte Pastor Henley auf. »Hannah und ich können unser Gespräch ein anderes Mal fortsetzen. Lass mich sie nur hinausbegleiten, dann bin ich gleich für dich da.«
    Als sich die Tür hinter ihm schloss, starrte Mrs. Henley auf die Holzuhr an der Wand. »Gütiger Gott, es ist schon halb fünf.« Sie schaute wieder auf Hannah und rümpfte leicht die Nase. »Ich bitte dich, vor dem Abendessen zu duschen und ein frisches Kleid anzuziehen. Du gehst direkt ins Bad, und wenn Bridget oder irgendjemand anders dir Fragen stellt, dann sagst du, dass ich dir die ausdrückliche Genehmigung dazu erteilt habe.«
    Hannah stellte sich auf ihre unsicheren Füße, und Mrs. Henley begleitete sie zur Tür. »Ich bin so glücklich, Hannah, dass wir uns unterhalten haben. Das Ganze bleibt natürlich unter uns. Ich wäre sehr bestürzt, wenn ich herausfände, dass du unser Gespräch mit einer anderen Wanderin besprochen hast.«
    »Ich werde nichts sagen«, erwiderte Hannah, die jetzt Kaylas Zurückhaltung und Unbehagen verstand. Wer wollte schon eine solche Erniedrigung mit einem anderen Menschen teilen?
    Auf dem Weg zurück zum Schlafsaal traf sie auf mehrere andere Frauen im Gang. Als diese ihr Gesicht sahen, schauten sie sie mitleidsvoll an und machten einen großen Bogen um sie.

 
    HANNAH VERBRACHTE DAS WOCHENENDE DAMIT, über ihr Gespräch mit Mrs. Henley nachzugrübeln. Ihre Scham mündete schließlich in Empörung und in grenzenlose Wut, und zwar gleichermaßen was die Grausamkeit dieser Frau als auch ihre eigene Lähmung und Mitschuld anbetraf. Warum hatte sie nicht gelogen, wie sie es auch in der Befragung der Polizei getan hatte? Warum war sie nicht einfach aufgestanden und hatte das Zimmer, das Zentrum verlassen? Konnte es in der Welt da draußen noch schlimmer zugehen als hier drin?
    Hannah fragte sich, wie viel ihre Mutter über diesen Ort gewusst hatte, als sie vorschlug, sie hierher zu schicken. Wusste ihre Mutter, mit welchen Erleuchtungsmethoden die Henleys arbeiteten? Und was war mit Aidan? Wusste er darüber Bescheid? Hannah sagte sich, dass es nicht sein konnte, doch der Zweifel rumorte in ihr.
    Am Montagmorgen während des Frühstücks informierte Bridget Hannah, dass sie nicht länger ihre Wegbegleiterin sei. »Am Mittwoch kommt eine neue Wanderin, und Mrs. Henley hat mich darum gebeten, ihr den Weg zu zeigen. Ab heute bist du auf dich allein gestellt.«
    »Ich bin am Boden zerstört«, sagte Hannah. »Nach all der guten Zeit, die wir miteinander hatten.«
    Kayla, die ihnen gegenübersaß, verschluckte sich fast an ihrem Haferbrei.
    Nach dem Frühstück schlossen sich die beiden den anderen Frauen an, die sich vor dem Dienstplan versammelt hatten. Kayla war zufrieden, sie war für den Kapellendienst eingeteilt – eine leichte Arbeit. Hannah erwartete, ihren Namen in der Rubrik Nähstube zu finden, doch stattdessen musste sie die Tätigkeit ihrer Freundin übernehmen und das Badezimmer putzen.
    »Pech gehabt!«, sagte Kayla. »Doch so schlimm ist die Badezimmer-Sklaverei nicht. Zumindest bist du allein und hast deine Ruhe. In der Wäscherei klebst du mit drei anderen schrulligen, stinkenden Frauen

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