Die Geächteten
wären wir glücklich gewesen, wenn wir ihn hätten behalten können. Er und Alyssa werden an Thanksgiving nach Hause kommen, und es geht das Gerücht um, dass er am Mittwochabend den Gottesdienst leiten wird. Ich hoffe, er wird da oben ein gutes Wort für die Jungs einlegen. Sie spielen an Thanksgiving gegen die Giants, und sie werden jedes Gebet brauchen. Walton hat sich vor zwei Wochen sein Handgelenk verstaucht, und ohne ihn war der Angriff lahm. Es würde schon an ein Wunder grenzen, wenn wir dieses Jahr die Play-offs gewännen.
Becca hat das Schlimmste von ihrer Morgenübelkeit hinter sich, und es geht ihr besser. Ich baue Krippen für die Babys, und deine Mutter strickt wie verrückt – du solltest all das rosa und blaue Garn sehen, das hier im Haus herumliegt.
Seit dem Ferienbeginn stehe ich viele Extrastunden im Geschäft, deshalb habe ich nicht viel Zeit, um mich um einen Job oder um ein Apartment für dich zu kümmern. Aber gleich im neuen Jahr kümmere ich mich darum, das verspreche ich dir. In der Zwischenzeit sollst du wissen, dass meine Gedanken und meine Gebete dir gelten. Ich vermisse dich. Wir alle vermissen dich.
In Liebe,
Dad
Becca ging besser damit um. Sie schrieb auf amüsante Weise von ihrer Schwangerschaft, von ihrem Alltag, von Menschen, die sie aus der Kirche kannten. Ab und zu, wenn Becca von Cole schrieb, spürte Hannah in ihren Worten einen beunruhigten Unterton:
Liebe Hannah,
ich wünsche mir so sehr, dass du hier wärst! Ich musste die Taille all meiner Röcke WIEDER ein Stück auslassen, und du weißt, wie sehr ich die Näherei mag. Meine Finger sehen aus wie Nadelkissen.
Jetzt, wo man mehr sieht, wird Cole immer mehr zum Beschützer. Ich schwöre, er lässt mich kaum noch aus dem Haus, es sei denn, um in die Kirche zu gehen. Er hat sich einer neuen christlichen Männergruppe angeschlossen, und sie treffen sich an einigen Abenden in der Woche. Wen er trifft, will er mir nicht sagen – ich weiß nur, dass sie nicht zu unserer Gemeinde gehören –, doch er sagt mir, sie seien mit den Promise Keepers vergleichbar.
Ich hoffe, es geht dir gut und du hast dort Freunde gefunden. Ich weiß, ihr werdet immer beschäftigt, doch bitte schreibe mir, so oft du kannst. Ich vermisse dich so sehr. Mama ist immer noch böse, aber ich arbeite daran.
Ich muss jetzt Schluss machen. Bin auf der Suche nach Käsekuchen und Oliven. Letzte Woche waren es Sandwiches (mit Bacon, Salat & Cocktailkirschen).
Ich liebe dich sehr,
Becca
Hannah machte sich Sorgen um ihre Schwester und ihren Vater. Doch sie war machtlos, konnte ihnen nicht helfen. Sie hatte keine Zweifel, dass sie genauso empfanden. Denn obwohl beide ihre Hoffnung zum Ausdruck brachten, dass es ihr gut geht, war Hannah nicht entgangen, dass keiner von beiden sie je konkret gefragt hatte, wie es ihr ginge. Vielleicht, so dachte sie, konnten sie es nicht ertragen, die Antwort zu hören. Sie hielt ihre Antworten kurz und unverfänglich und ersparte ihnen die Wahrheit: dass sie mehr und mehr das Gefühl hatte, in die Hölle zu wandern.
Am schlimmsten war die Erleuchtung, und mit jedem Tag, der verging, fürchtete sie sich mehr davor. Nie wusste sie, was auf sie zukam: eine Vorlesung von einem Arzt, der sie besuchte, über die blutigen Besonderheiten der Prozedur, dazu Gläser mit abgetriebenen Föten in Formaldehyd; eine »Ideenbildungssitzung«, in der sie sich abwechselnd die Zukunft ihrer abgetriebenen Kinder vorstellen mussten; ein Holovid, das blutige, halb abgetriebene Föten zeigte, die versuchten, aus dem Schoß ihrer Mütter zu kriechen. Doch am schlimmsten waren die Überlebenden, die persönlich kamen: ein Teenager-Mädchen, dessen Arm abgetrennt wurde, als seine Mutter in der sechsundzwanzigsten Woche versucht hatte, es abzutreiben, oder ein Mann, der Zeit seines Lebens an zerebraler Lähmung und an Depressionen litt. Erst in seinen Vierzigern erfuhr er, dass sein Zwillingsbruder abgetrieben und während des Eingriffes sein eigenes Gehirn perforiert worden war. Diese Sitzungen verbrühten Hannah innerlich und ließen sie so depressiv zurück, dass es selbst Kayla nicht gelang, sie aufzumuntern. Die Hoffnung, die sie hatte, als sie ins Zentrum gekommen war, verließ sie Stück für Stück, und sie kämpfte mehr und mehr darum, ihren Glauben nicht auch noch zu verlieren. Ihre Gespräche mit Gott bekamen einen zweifelnden, dann einen anklagenden Ton. Wie konnte Er zulassen, was die Henleys hier taten? Sollte das wirklich der Weg
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