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Die Gebeine von Avalon

Die Gebeine von Avalon

Titel: Die Gebeine von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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übertragen. Blut galt den Weisen früherer Zeiten als Mittel, die Geister zu rufen und ihnen Gestalt zu verleihen.»
    «Sie zu beschwören?»
    Nicht mein Lieblingsausdruck.
    «Es geht dabei um den Willen. Man zwingt ihn … diesem Teil einer anderen Welt auf.»
    «Etwas Dämonischem?»
    «Wenn die Königin von Gott eingesetzt ist …»
    «
Wenn?
Ihr
zweifelt
daran?»
    Er fragte es mit leiser Stimme, die Augen halb geschlossen.
    Lieber Herr Jesu!
    «Nein, nein», versicherte ich. «Selbstverständlich nicht. Mir ging es vielmehr darum, dass der Missbrauch einer Altarkerze hier den Versuch darstellen könnte, die Macht Gottes in dieser Hinsicht zu untergraben. Ich vermute, deshalb habt Ihr vorhin nach der Altarkerze gefragt.»
    «Um das heilige Band der königlichen Erbfolge zu durchschneiden?»
    «Das seinerseits bereits als rissig betrachtet werden könnte durch das …»
    «Das
Geschlecht
der Monarchin?»
    Für meinen Geschmack dachte dieser Mann etwas zu schnell.
    «Es ist nur meine eigene –»
    «Aber
natürlich
», zischte Walsingham. «Deshalb ließ ich Euch ja holen.»
    Ich musterte ihn prüfend.
    «Wer
seid
Ihr?», fragte ich «
Was
seid Ihr?»
    «Wonach sehe ich denn aus?»
    «Ihr seht aus», antwortete ich, «wie die wandelnde Finsternis.»
    Er lächelte und nickte offensichtlich erfreut.
     
    †
     
    Wenn man mich fragt, wie damals alles begonnen hat, muss ich an diesen Vorfall denken: Es war der erste Akt der Böswilligkeit, soweit ich dies bezeugen kann – einer
ausgeklügelten, absichtlichen
Böswilligkeit –, die zweifelsfrei auf die Königin abzielte.
    Lasst mich erklären, wie ich dabei empfand. Auf meine Art habe ich diese Frau geliebt, für die ich jeden dunklen Vorhang beiseiteschiebe und Antworten auf die erschreckendsten Fragen nächtlicher Stunden suche. Denn falls dies die Zeit ist, in der die großen Mysterien enträtselt werden, dann weil
sie
es durch eine Toleranz ermöglicht hat, von der viele von uns glaubten, wir würden sie nie wieder erleben.
    Sollte es am Ende nicht das große Bestreben des Menschen sein, den Willen und Plan Gottes zu ergründen? Fordert nicht Gott selbst uns auf, Sein Werk und Seine Schöpfung zu deuten?
    Schweigen.
    Ketzerei,
flüstert Ihr.
    Verbrennt ihn.
    Und das wäre auch fast geschehen. Vor ein paar Jahren, während einer anderen Regentschaft, wäre von mir beinahe nichts als Asche auf versengter Erde übrig geblieben. Die Erinnerung verfolgt mich noch immer in meinen Träumen, schwelt an der Grenze zu meinen wachen Gedanken. Die Anklage war nachweislich falsch, aber wann hätte das je eine Rolle gespielt?
    Dennoch überlebte ich, und jetzt steigt der feurige Sonnenball eines neuen Morgens über dem Fluss auf, während ich hier in der Stube meiner Mutter sitze und die Hände gen Himmel recke – der Vorwurf der Ketzerei ist am Ende doch nichts anderes als eine Augenbinde, die man dem Sehenden anlegt.
    Ich muss aufschreiben, was geschehen ist. Die ganze bittere Geschichte niederlegen, bevor die Zeit sie in meiner Erinnerung verzerrt und sie für den einfachen Mann wegen meiner Interpretation und gründlichen Sezierung nicht mehr zu durchdringen ist – oft genug sagt man, meine Schriften könnten nur wenige verstehen, weil sie voller wissenschaftlicher Begriffe, obskurer Symbole und Diagramme stecken. Einige halten sie deshalb sogar für Werke des Teufels.
    Daher will ich diese Geschichte ganz einfach und klar erzählen und werde nicht, wie ich es sonst tue, an jedem Satz feilen oder meine Gedanken und Gefühle verbergen … verheimlichen, wer ich war und wozu ich wurde.
    Doch bevor ich anfange, noch dies …
    … allem, was ist, liegt eine Gestalt, ein Muster zugrunde. Eine universelle Geometrie, deren sich verschiebende Winkel und wechselnde Rhythmen wir dank der Mathematik und Sternenkunde wieder berechnen und begreifen können, wie die Alten vor uns. Die Reise mit dem zweifachen Ziel: hinauf und hinab, nach außen und innen. Tag um Tag suche und beschreibe ich die Wege und Pfade, die ich dorthin beschreite, während ich doch weiß, dass ich, auf mannigfaltige Art, lediglich ein Beobachter bleibe.
    Und hilflos.
    Denn obwohl viele die Gaben der Engel besitzen, sind sie dennoch
keine
Engel.
    Das musste ich auf grausamste Art herausfinden.

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Erster Teil
    Doch in vielen Gegenden von England aber gibt es etliche Leute, die meinen, König Artus sei nicht tot, vielmehr lebe er nach dem Willen Unseres Herrn Jesus an einem anderen

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