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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Abkühlung und wiederholte schwere Dauerregen zurückzuführen ist und in den Jahren 1315 bis 1322 zu einer großen Hungersnot mit außergewöhnlichen Begleitumständen führte.
    Der Krieg war im Mittelalter immer an der Tagesordnung gewesen. Aber die Friedensbemühungen der Kirche und weltlicher Fürsten wie Ludwigs des Heiligen, das Streben nach günstigen Bedingungen für das wirtschaftliche Wohlergehen und die Verurteilung privater Fehden durch die erstarkenden Monarchien hatten die kriegerischen Unruhen eingedämmt. Was die Zeitgenossen an der allgemeinen Rückkehr des Krieges im 14. Jahrhundert am meisten erstaunte, waren die neuen Formen, die das Kriegsgeschehen annahm. Die allmähliche Ausbildung der Nationalstaaten, die den Frieden, der den feudalen Streitigkeiten verordnet worden war, zunächst begünstigt hatte, ließ nach und nach «nationale» Formen des Krieges entstehen. Ein gutes Beispiel liefert der endlose Hundertjährige Krieg, der auf moderne Art die alten englisch-französischen Feindseligkeiten aus dem 12. und 13. Jahrhundert belebte. Auch technische Fortschritte, die zwar langsam vonstatten gingen, aber spektakuläre Folgen hatten, machten den Krieg zu einem neuen Phänomen. Der sichtbarste dieser Fortschritte bestand in der Erfindung der Geschütze und des Schießpulvers, aber auch die Belagerungstechniken wurden perfektioniert. All diese Veränderungen führten dazu, dass die Burg allmählich verschwand und auf dem Land zwei neue Typen adliger Residenzen an ihre Stelle traten: einerseits das Schloss, ein Ort der Prachtentfaltung und des Vergnügens, der hauptsächlich als Wohnsitz diente, und andererseits die Festung, oft in königlicher oder fürstlicher Hand und dazu bestimmt, Angriffen mit Feuerwaffen Stand zu halten.
    Hinzu kam, dass der Krieg diffuser wurde und ein Berufskriegertum entstand. Die ökonomische und soziale Krise setzte zahlreiche vagabundierende Abenteurer frei, die sich, wenn sie einen Anführer fanden, zu bewaffneten Banden zusammenschlossen, deren Raubzüge und Verwüstungen schlimmer waren als die der regulären Truppen. In Italien stellten sich die oft hoch angesehenen Söldnerführer – die berühmten
condottieri
– in den Dienst der Städte und Stadtstaaten, manchmal, um selbstdie politische Macht an sich zu reißen. Schließlich gingen die Monarchien, besonders die französische, dazu über, stehende Heere aus Soldaten zu bilden, die einen regelmäßigen Sold erhielten, während sich die Söldnerverbände, nun aber dauerhafter und besser strukturiert, in den Dienst der Städte und der Fürsten stellten. Das Volk der Schweizerischen Eidgenossenschaft tat sich bei der Entwicklung des Söldnerwesens besonders hervor.
    William Chester Jordan hat eine glänzende Analyse der großen Hungersnot vom Anfang des 14. Jahrhunderts vorgelegt. Er hat gezeigt, wie sehr diese Katastrophe von den Menschen, die sie erlebt haben, als ein unerhörtes, «nie dagewesenes» Unheil empfunden wurde; wie sich in ihren Augen die natürlichen, menschlichen und göttlichen Ursachen verbanden, um diesen Hunger zu erzeugen. Das Klima, die anhaltenden Regenfälle, der Krieg und der Zorn Gottes wurden von den Zeitgenossen als Gründe für radikale Ausfälle bei den Getreideernten und verheerende Viehseuchen wahrgenommen. Die Preise stiegen, die Armen wurden immer zahlreicher und elender, ohne dass die Hausse auf dem noch begrenzten Lohnsektor die Preissteigerungen kompensieren konnte. Die unzulängliche Organisation der Monarchien und der Städte, das Versagen beim Transport von Lebensmitteln und die mangelhafte Vorratshaltung verschlimmerten die Lage oder erlaubten jedenfalls nicht, die Folgen der großen Hungersnot wirksam zu bekämpfen. Ein Europa der ländlichen Solidarität, eine Solidargemeinschaft in Zeiten der Lebensmittelknappheit konnte noch nicht entstehen.
    Dem französischen Historiker Philippe Contamine verdanken wir eine umfassende Darstellung des neuen Heerwesens, das sich zwischen dem Anfang des 14. und dem Ende des 15. Jahrhunderts in Europa ausgebildet hat. Die Aufwertung und die Veränderungen der Kriegswissenschaft führten dazu, dass – genau wie im ökonomischen Bereich Traktate über die Landwirtschaft auftauchten – didaktische Schriften über die Kriegskunst, die militärische Disziplin und die Heeresorganisation verfasst und verbreitet wurden. Eine um 1327 von Theodor Palaiologos, dem zweiten Sohn des byzantinischen Kaisers Andronikos II., verfasste Abhandlung

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