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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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seine Rolle auf dem Schlachtfeld und, wegen seiner Durchschlagskraft, beim Sturm auf Burg- und Stadtmauern.Der Wettlauf um die mächtigsten Geschütze hatte ebenso viel mit Prestigegewinn und dem Wunsch zu tun, Schrecken zu verbreiten, wie mit dem Streben nach Effizienz. Am Ende des 14. Jahrhunderts war ein Europa der Bombarden geboren. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stieg das Budget für die Artillerie der Städte und der Staaten unaufhaltsam an. Um die Jahrhundertwende erlebten die Metall verarbeitenden Rüstungsgewerbe vor allem in Mailand und Oberitalien einen großen Aufschwung, während die französische Artillerie, wie sie sich auf den Italienzügen präsentieren sollte, als die mächtigste und fähigste der Welt erschien.
    Die Militarisierung Europas wurde durch eine fundamentale Umwandlung des Kriegsdienstes ergänzt. In England verschwand das feudale Heeresaufgebot im 14. Jahrhundert zu Gunsten nationaler Truppen und Freiwilligenkompanien. Im Königreich Frankreich wurden nach der Mitte des 14. Jahrhunderts Soldverträge üblich. Im 15. Jahrhundert war jede Kommune und jede Pfarrgemeinde verpflichtet, zur Stärkung der Monarchie ein Aufgebot von Bogen- und Armbrustschützen in Reserve zu halten. In Italien, wo sich die städtische Führungsschicht von den militärischen Aufgaben abwandte und vornehmlich Söldnerverbände einsetzte, etablierte sich das System der
condotta
. Dennoch behielt der Adel fast überall in Europa seine alte Rolle bei und stellte den größten Teil der Kavallerie. Das Europa der Aristokratie stützte sich weiterhin auf seine kriegerischen Traditionen.
    Schließlich gingen im 15. Jahrhundert alle politischen Mächte im europäischen Raum mehr oder weniger dazu über, stehende Heere zu unterhalten. Der Lehnskrieg war ein Krieg mit Unterbrechungen gewesen, gegründet auf ein sporadisches Aufgebot, meistens im Frühjahr, und eine begrenzte Zeit der Heerfolge. Das Kriegsjahr im feudalen Europa hatte zahlreiche Lücken aufgewiesen. Im modernen Europa begann das Kriegswesen, aus einem Guss zu sein. Sogar die italienischen Städte und Stadtstaaten empfanden das Bedürfnis, stehende Heere in direkten Dienst zu nehmen. Der Senat von Venedig erklärte schon 1421: «Es war immer unsere Politik, tapfere Männer zu haben, in Zeiten des Friedens wie in Zeiten des Krieges.»
    Dennoch hatte dieses Europa der allgegenwärtigen kriegerischenGewalt das Streben nach jenem Frieden nicht vergessen, der das tiefe Ideal der Gesellschaft, der Kirche und der weltlichen Gewalten im Mittelalter gewesen war.
    Der Benediktiner Honoré Bonet stellt in seinem Werk
L’Arbre des batailles
bedauernd fest: «Ich sehe die ganze heilige Christenheit so niedergeschmettert von Krieg und Hass, Plünderung und Streiterei, dass es schwerfällt, auch nur ein kleines Land zu nennen, ob Herzogtum oder Grafschaft, das in gutem Frieden wäre.» Und der böhmische König Georg von Podiebrad, der im 15. Jahrhundert eine lateinische Abhandlung über den Frieden verfasste, der «in der ganzen Christenheit zu schließen» sei, äußerte die Hoffnung: «Mögen solche Kriege, Raubzüge, Aufruhr, Brandschatzung und Morde, die, wie wir zu unserem Leidwesen erfahren, die Christenheit selbst allenthalben in Bedrängnis gestürzt haben, durch die das Land verwüstet, die Städte geplündert, die Provinzen zerrissen, die Königreiche und Fürstentümer erschöpft und von zahllosen Nöten geplagt sind, endlich ein Ende nehmen und vollständig ausgemerzt werden, auf dass mittels einer löblichen Union wieder ein gebührender Zustand wechselseitiger Nächstenliebe und Brüderlichkeit geschaffen werde.»
    Dieser König aus dem 15. Jahrhundert hat der Europäischen Union, die sich sechs Jahrhunderte später ihren schwierigen Weg bahnen sollte, sicher den schönsten Plan und die beste Rechtfertigung geliefert: ein Europa des Friedens.
Die Schwarze Pest
    Um die Mitte des 14. Jahrhunderts brach eine der schlimmsten Katastrophen über das mittelalterliche Europa herein: die Schwarze Pest. Dieser Name wurde ihr gegeben, weil die Beulenpest, neben der auch eine andere Krankheitsform, die Lungenpest, auftrat, bei weitem überwog. Man erkannte sie daran, dass sich in der Leiste so genannte Bubonen bildeten, das heißt mit schwarzem Blut gefüllte Lymphknoten. Die Bubonenpest hatte den Orient und das Abendland schon zur Zeit Justinians im 6. Jahrhundert heimgesucht, war dann aber aus dem Abendland vollständig verschwunden. Nachdem

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