Die geheime Braut
sogar Gottes Ziele listig durchkreuzen. Ob Ereignisse göttlichen oder dämonischen Ursprungs waren, ließ sich oft schwer einschätzen. Der sich verbreitende Hexen glaube im ausgehenden 16. Jahrhundert und die gelehrten Auseinandersetzungen, wie mit Hexen umzugehen sei, ver weisen auf die sich aus dieser Wahrnehmung ergebende Un sicher heit.
Der Protestantismus trug also keineswegs eindeutig zu einer Rationalisierung des Glaubens und zur Entzauberung der Welt durch die Ausmerzung magisch-sinnlicher Elemente bei. Ganz im Gegenteil ließe sich geradezu vom protestantischen Bei trag zu einer »Überzauberung« der frühneuzeitlichen Welt bis circa 1650 durch die Verstärkung der Antichrist-, Teufels-, Vorsehungs- und Ewigkeitsvorstellungen sprechen, die das tägliche Leben durchdrangen.
L UTHER UND DIE W AHRHEIT
Die Geschichte des Aufstiegs Martin Luthers, der Europa nach haltig verändern sollte, ist ebenso eigentümlich wie faszinierend. 1483 in Eisleben geboren als Sohn eines aufstrebenden Bergbauunternehmers, begann er das Studium der Rechte, bis er als Zweiundzwanzigjähriger nach einem Blitzschlag ein Gelübde ablegte und daraufhin in Erfurt Augustinermönch wurde. Im Kloster suchte er die eine Wahrheit und wollte sie bei Gott finden. Das hieß für ihn, dass diese eine Wahrheit für alle Menschen verbindlich sein musste. Und: Vorherr schende Lehrmeinungen und Kirche genügten ihm bald nicht mehr.
Luther teilte dieses Unbehagen mit vielen Zeitgenossen, doch er sah sich von Gott auserwählt zum Reformator der Kirche. Er war ein Mann voll innerer Anspannung, gequält von Zweifeln, Depressionen und zahlreichen körperlichen Ma laisen. Für ihn fand ein kosmischer Kampf zwischen Christus und dem Teufel um den Besitz von Kirche und Welt statt – und er selbst stand mitten in diesem Kampf, vom Teufel angefochten, durch seinen Glauben an Christus gestärkt.
Wir kennen die wesentlichen Fakten seines Lebens: seit 1513 Professor an der theologischen Fakultät zu Wittenberg, um 1515 »Turmerlebnis«, 1517 Anschlag der fünfundneunzig Thesen am Portal der Schlosskirche zu Wittenberg, 1520 Reichstag zu Worms, 1521 Bannung durch den Papst, 1522 Aufenthalt auf der Wartburg und Übersetzung der Bibel ins Deutsche, 1525 Heirat mit Katharina von Bora, 1526 und 1527 Ge burt der ersten Kinder Johannes und Elisabeth, 1528 Tod Elisabeths.
Doch wer war Luther wirklich?
Offenbar eine Person, in der sich Extreme begegneten. Grandioser Redner und Menschenverführer, daneben Zweifler und Grübler. Durch seine Thesen veränderte er die Welt – und brachte es doch kaum fertig, seine wachsende Familie zu ernähren. Wie kein anderer bediente er sich des modernsten Mediums der damaligen Zeit, der Druckerpresse, die seine Thesen und Werke in Rekordauflagen verbreitete – und verdiente daran nur ein paar Pfennige (den Gewinn strichen die Drucker ein).
Der Kurfürst hatte ihm das Schwarze Kloster (ehemals Augustinerkloster) zur Verfügung gestellt und später geschenkt, ein riesiger Komplex, allerdings zunächst in denkbar schlechtem Zustand. Das Anwesen war so gut wie unbeheizbar und verlottert, was Katharina halb zur Verzweiflung brachte. Um etwas dazuzuverdienen, richtete sie dort eine Art Pension ein, ein Mittelding zwischen Burse, wie man die spätmittel alter lichen Studentenwohnheime nannte, und normalem Gast-haus, das sie mit einer Magd und der Hilfe ihrer Tante Lene betrieb. Gleichzeitig versuchte sie, den alten Klostergarten wieder instand zu setzen und ihren oft in höheren Sphären schwebenden Mann zum Ankauf eines weiteren Gartens zu bewegen, um alle Münder satt zu bekommen.
Der Tod ihrer kleinen Tochter Elisabeth, geboren im schreck lichen Pestjahr 1527, die nur zehn Monate alt wurde, hat sie bis ins Mark getroffen; auch Luther zeigte sich in Briefen tief bewegt. Plötzlich war es, als läge ein Schatten über dem Schwarzen Kloster, von dem doch die neue Wahrheit in die Welt gehen sollte – zu diesem Zeitpunkt spielt mein Roman.
W ITTENBERG ALS S CHAUPLATZ
Wittenberg war ein Zehn-Straßen-Ort zwischen drei Toren, mit dem Schloss im Westen, wo der Kurfürst residierte, und dem Schwarzen Kloster im Osten. Dazu gab es noch Rathaus, Markt und Stadtkirche. Am Südtor hatte sich der reiche Hofmaler und Apotheker Lucas Cranach bereits 1512 das größte Haus am Ort bauen lassen, in dem auch seine Werkstatt untergebracht war. In der Stadt lebten Kaufleute und Handwerker, die für den lokalen Markt arbeiteten. Der Buchdruck
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