Die geheime Braut
entwickelte sich neben der Malerei zum Exportgewerbe. Vor der Stadt lebten Fischer. Mit seinen Vorstädten zählte Wittenberg um die 400 Häuser und circa 2 000 Einwohner – ein »Floh« im Gegensatz zu Köln und Nürnberg, die um die 40 000 Einwohner hatten.
Wie konnte ausgerechnet von solch einem »Kaff« die Reformation ausgehen?
Kurfürst Friedrich, genannt der Weise, der 1486 die Herrschaft übernommen hatte, leistete viele Vorarbeiten dazu. Er holte Künstler an seinen Hof, etwa Dürer und dann vor allem Lucas Cranach, den er zum Hofmaler machte, gab Aufträge an Goldschmiede und sammelte Bücher (neben Reliquien). Er vertiefte die Kontakte zu Humanisten und gründete 1502 die Universität Leucorea. Im gleichen Jahr siedelte sich auch das Augustinerkloster an, das mit der Universität eng verbunden war. 1508 wurde eine Druckerei in die Stadt geholt.
So sollten Hof und Stadt bedeutend werden. Junge Adelige, bürgerliche Beamtenkinder, begabte Äbte und Mönche, vielversprechende Wissenschaftler und vornehme Reisende begannen, auf dem Weg nach Polen ihre Pferde von der Hauptstraße in die Schlaglöcher der Straße zwischen Torgau und Magdeburg zum kleinen Wittenberg zu lenken.
1521 wurde das Rathaus abgebrochen und neu errichtet – mit Verkaufshallen für städtische Handwerker, während die Bauern auf dem offenen Markt blieben. Cranach malte das Gebäude mit den Zehn Geboten aus. Er selbst saß im Rat, war außerordentlich geschäftstüchtig und hatte inzwischen das Monopol für den Handel mit Apothekergütern und Gewürzen an sich gezogen.
Die wichtigsten Einflusspole in Wittenberg waren der Fürst und sein engster Beraterstab, der Stadtrat, die Stadtkirche und der Augustinerorden. Zügig entwickelte sich die gewerbliche Umtriebigkeit einer Residenzstadt: Mieten, Verpflegung, Trin ken, Kleider, Buchdrucker, Binder, Bordelle, Schmiede, Kerzen macher und viele andere.
Wittenberg konnte als Stadt aufblühen.
Innerhalb der ersten zehn Jahre des 16. Jahrhunderts hatte eine neue Elite Einzug gehalten, bewusst gesteuert vom Kurfürsten, der bedeutende Künstler und Gelehrte in die Stadt holte.
Die Universität gewann nach 1517 zunehmend an Profil, indem sie sich Luther und seiner immer radikaleren Kritik am bisherigen Lehrkanon öffnete. Während die Universität damals noch um die 200 Studenten zählte, stieg ihre Zahl nach dem Thesenanschlag sprunghaft an. 1518 kam Philipp Melanch thon; es folgten grundlegende Lehrreformen. 1519 war der Andrang bereits so groß, dass ein großes neues Lehrgebäude (mit Unterkünften) gebaut werden musste.
Der Schritt vom verschlafenen Ort am Rand der Welt zur lebendigen Universitätsstadt, von der die neue Lehre – nach Luther die Wahrheit – ausging, war vollzogen.
L UCAS C RANACH DER Ä LTERE
Um Luther und seine Lehren einem breiten Publikum bekannt zu machen, waren außer dem gesprochenen und ge druckten Wort (aber wer konnte schon lesen?) visuelle Maßnahmen außerordentlich wichtig. Lucas Cranach, Hofmaler am Kurfürstenhof, wurde gewissermaßen zum Maler der Re formation, der nicht nur die Lutherbibeln illustrierte, sondern auch zahlreiche Bildnisse des Reformators (und einige seiner Frau) fertigte. In seiner für damalige Verhältnisse riesigen Werk statt, in der zu Spitzenzeiten bis zu 20 Gesellen und Lehrlinge arbeiteten (in den Jahren ab 1530), begann neben der Malerei die Produktion von Holzschnitten. Aber auch mit anderen Techniken wurde in großem Stil gearbeitet.
Heute finden wir in den Museen der Welt an die 1 000 Gemälde, die aus dieser Werkstatt stammen. Ihre Gesamtzahl jedoch wird auf bis zu 5 000 geschätzt. Dazu kommt eine Flut von Grafiken. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass Cranach eine höchst produktive Werkstatt führte, in der viele Künstler Hand anlegten, bis schließlich das Wappen des Meisters – die geflügelte Schlange – unter ein Bild gesetzt wurde.
N ACKTE B ILDER
Interessant ist, dass seit der Reformation Aktdarstellungen im mer größeren Raum in der Produktion der Cranach-Werkstatt einnahmen. Angesichts der rückläufigen Nachfrage nach Altar gemälden und Tafelbildern religiöser Thematik bot die Werk statt offenbar vermehrt mythologische Themen an, um die Produktion auf dem bisherigen Niveau zu halten – und niemanden entlassen zu müssen.
Motive waren unter anderem Adam und Eva, Variationen von Venus und Cupido als Honigdieb, Lucretia mit dem Dolch in der Hand, das Urteil des Paris, das goldene Zeitalter
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