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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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gab ihm eine Excedrin.
    »Danke«, sagte er und schluckte sie mit einem großen, gurgelnden Schluck Whiskey. »Hoffentlich sterbe ich heute nacht. Was glaubst du überhaupt, wo er hingefahren ist? Wie spät ist es?«
    »Ungefähr zehn.«
    »Du glaubst doch nicht, daß er vorhat, nach Hause zu fahren, oder? Vielleicht hat er einfach das Auto genommen und ist nach
Hampden zurückgefahren. Camilla meint, bestimmt nicht, nicht, wo morgen die Beerdigung ist, aber ich weiß nicht, er ist einfach verschwunden . Wenn er wirklich bloß Zigaretten holen wollte, meinst du nicht auch, daß er dann schon wieder hier sein müßte? Ich kann mir nicht vorstellen, wo er sonst hingefahren sein sollte. Was meinst du?«
    »Er wird schon wieder auftauchen«, sagte ich. »Hör mal, es tut mir leid, aber ich muß weiter. Bis gleich.«
    Ich suchte im ganzen Haus nach Henry. Ich fand ihn unten im Keller; er saß allein im Dunkeln auf einem Feldbett.
    Er sah mich aus dem Augenwinkel an, ohne den Kopf zu bewegen. »Was ist das?« fragte er, als ich ihm zwei Kapseln hinhielt.
    »Nembutal. Nimm.«
    Er nahm sie und schluckte sie ohne Wasser. »Hast du noch mehr?«
    »Ja.«
    »Gib her.«
    »Du kannst nicht mehr als zwei nehmen.«
    »Gib her.«
    Ich gab sie ihm. »Das ist mein Ernst, Henry«, sagte ich. »Du solltest vorsichtig sein.«
    Er sah sie an, und dann nahm er die blau emallierte Pillendose aus der Tasche und tat die Kapseln sorgfältig hinein. »Ist wohl kaum möglich«, sagte er, »daß du hinaufgehst und mir etwas zu trinken holst?«
    »Du solltest auf diese Pillen nichts trinken.«
    »Ich habe bereits etwas getrunken.«
    »Das weiß ich.«
    Kurzes Schweigen.
    »Hör mal«, sagte er und schob seine Brille an die Nasenwurzel hinauf. »Ich möchte einen Scotch mit Soda. In einem großen Glas. Viel Scotch, wenig Soda, eine Menge Eis, ein Glas einfaches Wasser ohne Eis dazu. Das möchte ich gern.«
    »Ich werd’s dir nicht holen.«
    »Wenn du nicht gehst und es mir holst, muß ich eben selbst raufgehen und es mir besorgen.«
    Also lief ich hinauf in die Küche und holte ihm, was er haben wollte; allerdings tat ich sehr viel mehr Soda hinein, als er wollte.
    »Das ist für Henry«, stellte Camilla fest; sie kam in die Küche, als ich gerade den Drink fertig hatte und Leitungswasser in das zweite Glas laufen ließ.
    »Ja.«
    »Wo ist er?«
    »Unten.«
    »Wie geht’s ihm?«
    Wir waren allein in der Küche. Ich behielt die offene Tür im Auge und erzählte ihr von der Lackkommode.
    »Das ist typisch Cloke«, sagte sie und lachte. »Er ist eigentlich ziemlich anständig, nicht? Bun sagte immer, er erinnerte ihn an dich.«
    Ich war verblüfft und ein bißchen beleidigt; erst wollte ich etwas erwidern, aber dann stellte ich das Glas hin und fragte: »Mit wem telefonierst du denn um drei Uhr morgens?«
    »Was?«
    Ihre Überraschung wirkte völlig natürlich, aber sie war eine so erfahrene Schauspielerin, daß man nicht hätte sagen können, ob sie echt war.
    Ich sah ihr in die Augen. Sie hielt meinen Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken, und als ich gerade fand, sie habe einen Herzschlag zu lange geschwiegen, da schüttelte sie den Kopf und lachte wieder. »Was ist denn mit dir los?« fragte sie. »Wovon redest du?«
    Ich lachte ebenfalls. Es war unmöglich, sie in diesem Spiel zu überlisten; sie war zu ausgefuchst.
    »Ich will dich nicht zur Rechenschaft ziehen«, sagte ich. »Aber du mußt vorsichtig sein mit dem, was du am Telefon sagst, wenn Cloke bei dir zu Hause ist.«
    Sie war ungerührt. »Ich bin vorsichtig.«
    »Hoffentlich, denn er hat gelauscht.«
    »Er kann nichts gehört haben.«
    »Na, man soll es nicht drauf ankommen lassen.«
    Wir standen da und sahen einander an. Dicht unter ihrem Auge war ein atemberaubender rubinroter Schönheitsfleck, so groß wie ein Stecknadelkopf. Einem unwiderstehlichen Impuls folgend, beugte ich mich vor und gab ihr einen Kuß.
    Sie lachte. »Wofür war das?«
    Mein Herz – das, entzückt von meinem Wagemut, für einen Augenblick den Atem angehalten hatte – begann plötzlich wild zu pochen. Ich wandte mich ab und machte mir an den Gläsern zu schaffen. »Nur so«, sagte ich. »Du sahst einfach hübsch aus.« Ich hätte vielleicht noch mehr gesagt, wenn nicht Charles triefend naß zur Tür hereingestürmt wäre, dicht gefolgt von Francis.
    »Warum hast du es mir nicht einfach gesagt ?« zischte Francis wütend. Er war rot im Gesicht und zitterte. »Mal ganz davon abgesehen, daß die Sitze

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