Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
durchnäßt sind und wahrscheinlich schimmeln und faulen werden und daß ich außerdem morgen damit nach Hampden zurückfahren muß. Aber davon mal ganz abgesehen. Das ist mir egal. Was ich bloß nicht fassen kann, ist, daß du raufgehst, daß du ganz bewußt . meinen Mantel suchst und die Schlüssel rausnimmst und ...«
»Ich habe dich auch schon mit offenem Verdeck durch den Regen fahren sehen«, unterbrach Charles ihn knapp. Er ging an die Küchentheke, wandte Francis den Rücken zu und goß sich einen Drink ein. Das Haar klebte ihm am Kopf, und rings um seine Füße bildete sich eine kleine Pfütze auf dem Linoleum.
»Was«, sagte Francis mit zusammengebissenen Zähnen. »Das hab’ ich noch nie ...«
»Doch, hast du«, sagte Charles, ohne sich umzudrehen.
»Sag mir, wann.«
»Okay. Was war an dem Nachmittag, als wir beide in Manchester waren, ungefähr zwei Wochen bevor die Schule anfing, und wir zum Equinox House fuhren, um ...«
»Das war an einem Sommernachmittag . Es hat genieselt .«
»Hat es nicht. Es hat heftig geregnet. Du willst jetzt bloß nicht darüber reden, weil das der Nachmittag war, an dem du versucht hast, mich rumzukriegen, damit ich ...«
»Du spinnst ja«, sagte Francis. »Das hat überhaupt nichts damit zu tun. Es ist stockfinster, und es regnet in Strömen , und du bist sternhagelvoll. Es ist ein Wunder, daß du niemanden umgebracht hast. Wo, zum Teufel, bist du überhaupt gewesen, um Zigaretten zu holen? Hier ist kein einziger Laden im Umkreis von ...«
»Ich bin nicht betrunken.«
»Ha, ha. Was du nicht sagst. Wo hast du die Zigaretten geholt? Das wüßte ich gern. Ich wette ...«
»Ich sagte, ich bin nicht betrunken.«
»Ja, klar. Ich wette, du hast auch keine Zigaretten geholt. Wenn doch, müßten sie völlig durchgeweicht sein. Wo sind sie denn?«
»Laß mich in Ruhe.«
»Nein. Im Ernst. Zeig sie mir. Ich würde sie gern sehen, diese berühmten..,«
Charles knallte sein Glas auf die Theke und fuhr herum. »Laß mich in Ruhe «, zischte er.
Es war eigentlich weniger sein Ton, als vielmehr sein Gesichtsausdruck,
der so schrecklich wirkte. Francis starrte ihn mit halboffenem Mund an. Ungefähr zehn Sekunden lang war kein Laut zu hören außer dem rhythmischen tack-tack-tack des Wassers, das von Charles’ nassen Sachen auf den Boden tropfte.
Ich nahm Henrys Scotch mit Soda und viel Eis und sein Wasser ohne Eis und ging an Francis vorbei durch die Pendeltür und hinunter in den Keller.
Es regnete heftig die ganze Nacht. Meine Nase kribbelte von dem Staub im Schlafsack, und der Kellerfußboden – harter Beton unter einer dünnen, komfortlosen Auslegware – ließ mir in jeder Position die Knochen weh tun. Der Regen trommelte gegen die Fenster hoch oben in der Wand, und das Flutlicht, das von draußen hereinschien, malte ein Muster an die Wände, das aussah, als ob dunkle Wasserrinnsale von der Decke bis zum Boden herabliefen.
Charles schnarchte mit offenem Mund auf seiner Pritsche; Francis murmelte im Schlaf. Gelegentlich rauschte ein Auto durch den Regen vorbei; die Scheinwerfer schwenkten für einen Augenblick durch den Raum und erleuchteten ihn – den Billardtisch, die Schneeschuhe an der Wand, die Rudermaschine, den Sessel, in dem Henry saß, bewegungslos, ein Glas in der Hand, eine heruntergebrannte Zigarette zwischen den Fingern. Für einen Moment erfaßte das Scheinwerferlicht sein Gesicht, blaß und wachsam wie das eines Geistes, und dann verschwand es nach und nach wieder in der Dunkelheit.
Am Morgen wachte ich zerschlagen und desorientiert auf, weil irgendwo ein loser Fensterladen gegen die Mauer schlug. Es regnete noch stärker als zuvor. Der Regen peitschte in rhythmischen Wellen gegen die Fenster der weißen, hell erleuchteten Küche, in der wir Gäste um den Tisch saßen und schweigend und frostig unseren Frühstückskaffee trinken.
Die Corcorans waren oben und kleideten sich an. Cloke und Bram und Rooney hatten die Ellbogen auf den Tisch gestützt, tranken ihren Kaffee und redeten leise miteinander. Sie waren frisch geduscht und rasiert und wirkten aufgekratzt in ihren Sonntagsanzügen, aber auch unbehaglich, als müßten sie in eine Gerichtsverhandlung. Francis – die Augen verquollen, das steife rote Haar zu absurden Locken verdreht – war noch im Bademan – tel. Er war spät aufgestanden und in einem Zustand mühsam
gebändigter Empörung, weil das gesamte heiße Wasser im Kellertank aufgebraucht war.
Er und Charles saßen
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