Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Wir werden erzählen müssen, daß wir sie verloren haben.«
Auch wenn mir diese Auseinandersetzung nicht lange im Gedächtnis blieb, war ich verwirrt – um so mehr, als die Zwillinge mir auswichen, als ich sie danach fragte. Eine weitere Absonderlichkeit war ein großer Kupferkessel, den ich eines Nachmittags entdeckte; er stand blubbernd auf dem hinteren Brenner des Küchenherdes
und verbreitete einen eigenartigen Geruch. Ich nahm den Deckel ab, und eine Wolke von bitterem, beißendem Dampf stieg mir ins Gesicht. Der Kessel war mit schlaffen, mandelförmigen Blättern gefüllt, die in etwa zwei Litern schwärzlichem Wasser kochten. Was in Gottes Namen ist das? dachte ich verblüfft, aber auch belustigt, und als ich Francis fragte, sagte er knapp: »Für mein Bad.«
Rückblickend ist es leicht, alles zu durchschauen. Aber damals kannte ich nichts als mein eigenes Glück, und ich weiß weiter nichts zu sagen, als daß das Leben selbst mir in jenen Tagen magisch erschien: ein Gewebe von Symbolen, Zufällen, Vorahnungen und Omen. Alles paßte irgendwie zusammen; irgendeine schlaue, wohlwollende Vorsehung offenbarte sich Stück für Stück, und ich sah mich bebend am Rand einer sagenhaften Entdeckung, als werde sich eines Morgens, irgendeines Morgens, alles ineinanderfügen – meine Zukunft, meine Vergangenheit, mein ganzes Leben.
Was sollte ich noch erzählen? Von dem Samstag im Dezember, an dem Bunny um fünf Uhr morgens durchs Haus galoppierte und brüllte: »Der erste Schnee!« und auf unsere Betten sprang? Oder wie Camilla versuchte, mir den Walzerschritt beizubringen? Oder wie Bunny das Boot umkippte – während Henry und Charles drinsaßen –, weil er glaubte, er habe eine Wasserschlange gesehen? Von Henrys Geburtstagsparty, oder von den beiden Malen, wo Francis’ Mutter – lauter rotes Haar und Alligatorpumps und Smaragde - auf dem Weg nach New York bei uns vorbeikam, ihren Yorkshireterrier und ihren zweiten Gatten im Schlepptau? (Sie war eine Wilde, diese Mutter; Chris, ihr neuer Ehemann, war Kleindarsteller in einer Fernsehserie und kaum älter als Francis. Olivia hieß sie. Als ich sie kennenlernte, war sie gerade aus der Betty-Ford-Klinik entlassen worden, wo man sie vom Alkoholismus und einem nicht weiter spezifizierten Drogenproblem kuriert hatte, und schlug nun fröhlich von neuem den Pfad der Sünde ein. Ich bekomme heute noch Weihnachtskarten von ihr.)
Ein Tag ist mir noch besonders lebhaft in Erinnerung geblieben, ein strahlender Samstag im Oktober, einer der letzten sommerlichen Tage, die wir in dem Jahr hatten. In der Nacht davor – die ziemlich kalt gewesen war – hatten wir fast bis zum Morgengrauen getrunken und geplaudert, und ich wachte erst spät auf, erhitzt und von leichter Übelkeit erfüllt; meine Decke hatte ich ans Fußende
geschoben, und die Sonne strahlte durchs Fenster herein. Ich blieb noch eine ganze Weile still liegen. Die Sonne drang mir hell und schmerzhaft rot durch die Augenlider, und meine feuchten Beine prickelten von der Wärme.
Unten im Haus war es still, licht, drückend. Ich ging die Treppe hinunter, und meine Schritte knarrten auf den Stufen. Nichts regte sich, alles war leer. Endlich fand ich Francis und Bunny auf der schattigen Seite der Veranda. Bunny hatte ein T-Shirt und Bermudashorts an. Francis’ Gesicht war von fleckigem Albinorosa gerötet, seine Augen waren geschlossen, und die Lider flatterten fast vor Schmerz. Er trug einen schäbigen Frotteemantel, den er in einem Hotel geklaut hatte.
Sie tranken »Prärieaustern«. Francis schob mir sein Glas herüber, ohne hinzusehen. »Hier, trink das«, sagte er. »Mir wird schlecht, wenn ich es noch eine Sekunde anschaue.«
Der Eidotter bibberte sanft in seinem blutigen Bad aus Ketchup und Worcestershiresauce. »Ich will das nicht«, sagte ich und schob es zurück.
Er schug die Beine übereinander und faßte die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger. »Ich weiß nicht, weshalb ich diese Dinger mache«, sagte er. »Sie wirken nie. Ich brauche ein paar Alka-Seltzer.«
Charles schloß die Fliegentür hinter sich und kam in seinem rotgestreiften Bademantel lustlos auf die Veranda. »Was du brauchst, ist ein Eiscreme-Coke«, stellte er fest.
»Du und deine Eiscreme-Cokes.«
»Sie wirken, ich sag’s dir. Durchaus wissenschaftlich. Kaltes ist gut gegen Übelkeit, und ...«
»Das sagst du immer, Charles, aber ich glaube einfach nicht, daß es stimmt.«
»Würdest du mal eine Sekunde zuhören?
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