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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Einmachgläser, die aufgereiht auf einem Teetisch aus Peddigrohr standen, den wir in den Garten hinausgeschleppt hatten. Aber damit war es bald zu Ende, als nämlich Henry, der stark kurzsichtig war, aus Versehen eine Ente totschoß. Er war ganz erschüttert danach, und wir brachten die Pistole wieder weg.
    Die anderen spielten gern Crocket – Bunny und ich nicht; keiner von uns beiden hatte den Bogen je richtig raus. Wir hackten kreuz und quer gegen den Ball, als spielten wir Golf. Hin und wieder konnten wir uns so weit aufraffen, daß wir ein Picknick veranstalteten. Dabei nahmen wir uns immer zuviel vor – das Menü war raffiniert, der erwählte Platz weit weg und obskur –, und unweigerlich endete die Sache damit, daß wir erhitzt und schläfrig und ein bißchen betrunken waren und keine Lust hatten, mit dem Picknickkram den weiten, beschwerlichen Heimweg anzutreten. Meistens lagen wir den ganzen Nachmittag im Gras herum, tranken Martinis aus der Thermosflasche und sahen zu, wie die Ameisen in einer glitzernden schwarzen Kette über die klebrige Kuchenplatte krochen, bis die Martinis schließlich alle waren und die Sonne unterging und wir im Dunkeln zum Abendessen nach Hause wandern mußten.
    Es war stets ein gewaltiges Ereignis, wenn Julian eine Einladung zum Dinner aufs Land annahm. Francis bestellte alle möglichen Lebensmittel aus dem Geschäft, blätterte in Kochbüchern und zerbrach sich tagelang den Kopf über die Frage, welcher Wein serviert, welches Geschirr benutzt, was im Seitenflügel als Ersatzgang bereitgehalten werden solle, falls das Souffle zusammenfiele. Smokings gingen in die Reinigung; Blumen wurden geliefert; Bunny legte seine Braut des Fu Manchu zur Seite und schleppte statt dessen einen Band Homer mit sich herum.
    Ich weiß nicht, weshalb wir beharrlich einen solchen Aufwand um diese Dinners machten, denn wenn Julian dann eintraf, waren
wir unweigerlich nervös und erschöpft. Es war eine schreckliche Belastung für alle Beteiligten, den Gast eingeschlossen, da bin ich sicher – obwohl er sich stets in bester Laune zeigte, freundlich und charmant und unermüdlich entzückt über alles und jeden, und dies trotz der Tatsache, daß er durchschnittlich nur eine von drei solchen Einladungen annahm. Ich sah mich ganz außerstande, in meinem unbequemen geliehenen Smoking und mit meinen alles andere als umfangreichen Kenntnissen der Tischetikette meinen Streß zu verbergen. Die anderen waren geübter in dieser speziellen Art der Heuchelei. Fünf Minuten vor Julians Ankunft mochten sie noch zusammengesunken im Wohnzimmer hocken – die Vorhänge waren zugezogen, das Essen köchelte auf Warmhalteplatten in der Küche, alle zupften sich mit vor Erschöpfung stumpfen Augen den Kragen zurecht –, aber kaum läutete die Türglocke, richteten sie sich kerzengerade auf, die Unterhaltung erwachte schlagartig zum Leben, ja, die Falten verschwanden aus ihren Kleidern.
    Damals fand ich diese Dinners wohl ermüdend und beschwerlich, aber heute hat die Erinnerung daran etwas Wundervolles: diese düstere Halle von einem Zimmer mit den gewölbten Decken und dem knisternden Feuer im Kamin, unsere Gesichter, irgendwie leuchtend, aber auch geisterhaft weiß. Der Feuerschein vergrößerte unsere Schatten, blinkte auf dem Silber, flackerte hoch an den Wänden; seine Reflexe loderten orangegelb in den Fensterscheiben, als stehe draußen eine Stadt in Flammen, und das Tosen der Flammen klang wie ein gefangener Vogelschwarm, der wie wild unter der Decke flatterte.
    Eine bestimmte Szene dieser Dinners kommt immer wieder an die Oberfläche, wie eine obsessive Tiefenströmung in einem Traum. Julian steht am Kopfende der langen Tafel und hebt sein Glas. »Auf daß Sie ewig leben«, sagt er.
    Und wir anderen stehen auch auf und stoßen über den Tisch hinweg mit klingenden Gläsern an wie ein Armeeregiment, das die Säbel kreuzt: Henry und Bunny, Charles und Francis, Camilla und ich. »Auf daß Sie ewig leben«, wiederholen wir im Chor und werfen dann die Gläser zugleich hinter uns.
    Und immer, immer derselbe Toast: Auf daß wir ewig leben.
     
    Es wundert mich heute, daß ich so viel mit ihnen zusammen war und doch so wenig von dem wußte, was da vorging. Es gab sehr wenige handfeste Hinweise darauf, daß überhaupt irgend etwas
vorging – dazu waren sie zu clever –, aber auch den winzigen Unstimmigkeiten, die durch ihre schützende Fassade schimmerten, begegnete ich mit einer Art willkürlicher Blindheit.

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