Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
mindestens zwanzig Jahren verheirateten Ehepaaren gesehen habe, ein Verhältnis, das zwischen dem Rührenden und dem Ärgerlichen hin- und herschwang. Im Umgang mit ihm war sie sehr herrisch und geschäftsmäßig; sie behandelte ihn ganz so, wie sie ihre Kindergartenkinder behandelte. Er reagierte analog – abwechselnd schweifwedelnd, zärtlich oder schmollend. Die meiste Zeit über ertrug er ihr Genörgel geduldig, aber wenn er es nicht tat, kam es zu furchtbaren Streitigkeiten. Manchmal klopfte er spätabends an meine Tür, hager, wilden Blicks und zerknautschter als üblich, und dann murmelte er: »Laß mich rein, mein Alter, du mußt mir helfen, Marion ist auf dem Kriegspfad ...« Wenige Minuten später hallte dann ein scharfes Klopfen in abgezirkeltem Takt an der Tür: rat-a-tat-tat. Das war Marion, das Mündchen fest zusammengepreßt; sie sah aus wie eine kleine, wütende Puppe.
»Ist Bunny da?«fragte sie wohl, und dabei erhob sie sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals, um an mir vorbei ins Zimmer zu schauen.
»Der ist nicht hier.«
»Bist du sicher?«
»Er ist nicht hier, Marion.«
»Bunny!« rief sie dann bedrohlich.
Keine Antwort.
»Bun ny!«
Und dann pflegte Bunny zu meiner grenzenlosen Verlegenheit belämmert in der Tür zu erscheinen. »Hallo, Sweetie.«
»Wo bist du gewesen?«
Bunny veranstaltete ein großes Ho-hum und A-hem.
»Na, ich denke, wir müssen uns mal unterhalten.«
»Ich hab’ gerade zu tun, Honey.«
»Nun« – an dieser Stelle schaute sie auf ihre geschmackvolle kleine Cartier-Armbanduhr – »ich gehe jetzt nach Hause. Ich bin noch ungefähr eine halbe Stunde auf, und dann gehe ich schlafen.«
»Fein.«
»Ich sehe dich dann in ungefähr zwanzig Minuten.«
»Hey, Moment mal, ich hab’ nicht gesagt, daß ich ...«
»Bis gleich«, sagte sie und ging.
»Ich gehe nicht«, pflegte Bunny dann zu sagen.
»Nein. Würde ich auch nicht.«
»Ich meine, für wen hält sie sich eigentlich.«
»Geh einfach nicht.«
»Ich meine, irgendwann muß man ihr doch mal eine Lektion erteilen. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Dauernd in Aktion. Meine Zeit gehört mir.«
»Genau.«
Unbehagliches Schweigen senkte sich herab. Schließlich pflegte Bunny aufzustehen. »Ich schätze, ich gehe dann.«
»Okay, Bun.«
»Ich meine, ich gehe nicht rüber zu Marion, falls du das glaubst«, sagte er defensiv.
»Natürlich nicht.«
»Ja, ja«, sagte Bunny zerstreut und rauschte aufgeregt davon.
Am nächsten Tag kam es dann vor, daß er und Marion gemeinsam zu Mittag aßen oder zusammen am Spielplatz entlangspazierten. »Ihr habt also alles geklärt, du und Marion, hm?« fragte einer von uns bei nächster Gelegenheit, wenn wir ihn allein sahen.
»Oh, yeah«, sagte Bunny dann verlegen.
Die Wochenenden in Francis’ Haus waren die allerglücklichsten Zeiten. Das Laub wurde in diesem Herbst schon früh gelb, aber die Tage blieben noch weit in den Oktober hinein warm, und auf dem Land verbrachten wir die meiste Zeit draußen im Freien. Abgesehen von gelegentlichen, halbherzigen Tennispartien (Volleys, die vom Platz gingen, und niedergeschlagenes Gestocher mit den Enden unserer Tennisschläger im hohen Gras nach dem verlorenen Ball) trieben wir nichts besonders Sportliches; etwas an diesem Anwesen inspirierte einen zu einer herrlichen Faulheit, wie ich sie seit meiner Kindheit nicht mehr gekannt hatte.
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kommt es mir so vor, als hätten wir, wenn wir dort draußen waren, fast ständig getrunken – nie sehr viel auf einmal, aber das dünne Rinnsal des Alkohols, das mit den Bloody Marys beim Frühstück begann, hielt bis zum Schlafengehen an, und das dürfte mehr als alles andere für unsere Trägheit verantwortlich gewesen sein. Wenn ich ein Buch mit hinaus nahm, um zu lesen, schlief ich beinahe unverzüglich im Liegestuhl
ein; wenn ich mit dem Boot hinausfuhr, hatte ich bald keine Lust mehr zum Rudern und ließ mich den ganzen Nachmittag treiben. (Dieses Boot! Noch heute versuche ich manchmal, wenn ich nicht einschlafen kann, mir vorzustellen, daß ich in diesem Ruderboot liege, den Kopf auf dem Sitzbrett im Heck, während das Wasser hohl am Holz plätschert und gelbe Birkenblätter herunterschweben und mein Gesicht streifen.) Gelegentlich nahmen wir wohl auch ehrgeizigere Unternehmungen in Angriff. Einmal, als Francis im Nachttisch seiner Tante eine Beretta samt Munition fand, trieben wir eine kurze Zeit lang Schießübungen; wir schossen auf
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