Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Das soll heißen: Ich wollte die Illusion aufrechterhalten, daß sie völlig aufrichtig mit mir umgingen, daß wir alle Freunde waren und daß es keine Geheimnisse gab, obwohl es eine schlichte Tatsache war, daß es viele Dinge gab, in die sie mich nicht einweihten, und zwar noch eine ganze Weile nicht. Und auch wenn ich mich bemühte, es zu ignorieren, war ich mir dessen doch gleichzeitig auch bewußt. Ich wußte zum Beispiel, daß die fünf manchmal Dinge taten – was es genau war, wußte ich nicht –, ohne mich dazuzubitten, und daß sie notfalls alle zusammenhielten und mich belogen, beiläufig und durchaus überzeugend. Ja, sie waren so überzeugend, so makellos orchestriert in ihren kontrapunktischen Variationen der Falschheit (dabei klang die unbeirrte Sorglosigkeit der Zwillinge wie eine helle Note der Wahrheit vor dem Hintergrund von Bunnys Albernheiten oder Henrys gelangweilter Gereiztheit, mit der er eine Reihe von trivialen Ereignissen wiederkäute), daß ich ihnen meistens unversehens glaubte, obwohl der Augenschein für das Gegenteil sprach.
Natürlich sehe ich Spuren dessen, was vorging – und man muß ihnen zugute halten, es sind sehr kleine Spuren –, wenn ich jetzt zurückblicke: in der Art, wie sie manchmal höchst mysteriös verschwanden und Stunden später nur sehr unbestimmte Angaben über ihren Verbleib machten; in ihren privaten Scherzen, die sie beiläufig auf griechisch oder sogar in latein machten und bei denen mir sehr wohl bewußt war, daß ich sie nicht verstehen sollte. Naturgemäß mißfiel mir das, aber es schien nichts Alarmierendes oder Ungewöhnliches daran zu sein, auch wenn einige dieser flüchtigen Bemerkungen und privaten Scherze viel später eine schreckliche Bedeutung annahmen. Gegen Ende dieses Semesters zum Beispiel hatte Bunny die aufreizende Angewohnheit, unversehens in den Refrain des Liedes »Der Farmer dort im Tal« auszubrechen; ich fand das aber nur ärgerlich und verstand die heftige Aufregung nicht, die dies bei den anderen provozierte – denn ich wußte ja nicht, was ich heute weiß: daß es ihnen das Mark gefrieren lassen mußte.
Natürlich bemerkte ich manches. Vermutlich hätte sich das auch gar nicht vermeiden lassen, so oft, wie ich mit ihnen zusammen war. Aber meistens schienen es mir allenfalls Spitzfindigkeiten oder minimale Unstimmigkeiten zu sein, die viel zu geringfügig
waren, als daß ich ernsthaft hätte annehmen sollen, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Zum Beispiel: Alle fünf verletzten sich ständig. Dauernd wurden sie von Katzen gekratzt; sie schnitten sich beim Rasieren oder stolperten im Dunkeln über Fußbänke – plausible Erklärungen, gewiß, aber für Leute, die überwiegend herumsaßen, wiesen sie merkwürdig viele Blutergüsse und kleine Verletzungen auf. Auch zeigten sie ein seltsames Interesse am Wetter, was ich eigentümlich fand, weil keiner von ihnen irgendwelchen wetterabhängigen Tätigkeiten nachging. Dennoch waren sie besessen davon, vor allem Henry. Er sorgte sich vor allem um jähe Temperaturstürze; manchmal drückte er im Auto hektisch auf die Knöpfe seines Radios und suchte Barometerwerte, langfristige Wettervorhersagen, Daten jeglicher Art. Die Nachricht vom Sinken der Quecksilbersäule stürzte ihn unvermittelt in unerklärliche Düsternis. Ich fragte mich, was er wohl tun würde, wenn der Winter käme; aber mit dem ersten Schnee war seine Wetterbesessenheit verschwunden und kam nicht wieder.
Kleinigkeiten. Ich weiß noch, wie ich auf dem Lande einmal um sechs Uhr morgens aufwachte, als alle anderen noch im Bett waren, und wie ich hinunterging und den Küchenfußboden frisch geschrubbt vorfand, noch naß und makellos mit Ausnahme eines einzelnen mysteriösen Abdrucks von Freitags nacktem Fuß auf der glatten Sandbank zwischen Wasserboiler und Verandatür. Manchmal wachte ich dort draußen nachts auf, halb im Traum, aber irgend etwas war mir unbestimmt bewußt: gedämpfte Stimmen, Bewegungen, das leise Winseln und Kratzen des Windhundes an meiner Schlafzimmertür ... Ein andermal hörte ich einen gemurmelten Wortwechsel zwischen den Zwillingen, bei dem es um irgendwelche Bettlaken ging. »Dummkopf«, wisperte Camilla – und ich erhaschte einen Blick auf zerfetzten, flatternden Stoff, der schlammbeschmiert war – »du hast die falschen genommen. Die können wir so nicht zurückbringen.«
»Dann nehmen wir einfach die anderen.«
»Aber das merken sie. Die vom Wäscheservice haben einen Stempel.
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