Die geheime Mission des Nostradamus
gering als ihre Person.
Bei uns war Mutter die Erbin gewesen, und sie hatte meinem Vater mehrere Güter, einen Weinberg mit einer Quelle und einem verfallenen Turm sowie das Stadthaus meiner Großeltern eingebracht. Doch ihre üppige Mitgift, abgesehen von La Roque-aux-Bois, fiel Vaters Verschwendungssucht zum Opfer. Nur dank Großvaters weiser Voraussicht war der Weinberg mir, dem ersten Kind – ganz gleich ob männlichen oder weiblichen Geschlechtes – vermacht worden, während ich noch im Schoße meiner Mutter ruhte. Vermutlich dachte er, Mutter würde die Geburt nicht überleben oder zumindest keine Kinder mehr bekommen, da sie unter einer Krankheit litt, die bereits ihren Bruder dahingerafft hatte. Großvater hatte das kleine Erbe rechtlich so gut abgesichert, daß es nicht von meiner Person zu trennen war. Ein eigenartiges Geschenk, eines, das mich nun von meiner wahren Berufung als Dichterin abhalten und mir statt dessen die Verlobung mit einem ungehobelten Klotz mit gekauftem Titel einbringen sollte!
Doch das Geschrei von Fremden und das Geräusch von Pferdehufen auf dem Hof störten mich in meinen Betrachtungen über die Wege des Schicksals. Sogar Träumen und Nachdenken muß man in einem Haushalt voller Barbaren hintanstellen.
»Sieh mal, wer da auf dem Hof ist.«
»Annibal! Er ist zurück und hat Gäste mitgebracht!«
»Die Pferde, Sibille. Sind die schön. Komm, sieh dir das an!«
Wir drängten uns am Fenster im ersten Stock, und unten bot sich ein prächtiger Anblick. Sechs bewaffnete Fußsoldaten begleiteten ein riesiges graugeschecktes Schlachtroß, das zwei Pferdeknechte am silberverzierten Zügel führten. Seine Ohren waren im militärischen Stil gestutzt, seine Mähne war abrasiert, und es war gut drei Handspannen größer als alle anderen Reitpferde des Trupps. Le Vaillant – so hieß das Schlachtroß, wie wir später erfuhren – wurde gefolgt von einem berittenen Pferdeknecht, seinem Ausbilder, und an der Spitze des Zuges ritten zwei Offiziere: Annibal in seinem kurzen bestickten Umhang, mit flachem Barett, Feder und hohen Stiefeln, und ein Fremder, dessen Pferd sogar noch prachtvoller und dessen Kleidung noch eindrucksvoller war als Annibals.
»Annibal, Annibal!« riefen die kleine Renée und Françoise, und da blickte er hoch und winkte. Der Fremde tat es ihm nach. Noch nie hatte ich einen so ritterlichen Mann gesehen: Sein Gesicht war schmal, zartknochig und aristokratisch; ein prächtiger dunkler Schnurrbart betonte seine selbstsichere Haltung und elegante Erscheinung. Sein Blick war der eines Adlers.
»Oh, wer ist denn das?« seufzte Isabelle.
»Ah, ich habe mich schon fast in ihn verliebt«, sagte Laurette.
Was mich anging, so war ich eine verlobte Frau und gestattete mir nicht, überhaupt etwas zu denken.
»Und als Monsieur de Damville hörte, daß Le Vaillant zum Verkauf stünde, hat er uns mit dem Kauf für seinen Vater, den Konnetabel, beauftragt.« Annibal stieß sein Messer in die Taubenpastete und schnitt sich noch ein Stück ab. »Hmm, schmeckt köstlich, es geht doch nichts über Hausmannskost.«
»Annibal, warum hast du mir nie erzählt, daß deine Schwestern allesamt Schönheiten sind?« Der Fremde hob seinen Weinbecher und warf Laurette einen so vielsagenden Blick zu, daß sie errötete.
»Monsieur d'Estouville, falls Ihr noch ein paar Tage bleibt, werdet Ihr die Jagd in der Gegend hier hervorragend finden…«, sagte Vater, der milde gestimmt war.
»Annibal, bleib doch ein wenig länger«, bat Mutter. »Dieser Tage bekommen wir dich kaum noch zu sehen.«
»Annibal, seiner Mutter sollte man keine Bitte abschlagen«, sagte sein Freund und bedachte erst Mutter, dann Vater mit einem Lächeln. »Das ist aber mal ein schönes Stück da an der Wand. Italienisch, nicht wahr?«
»Aus der Schlacht von Landriano. Habe sie einem Spanier abgenommen.«
»Das waren noch Zeiten, erzählt man. Und mit einem neuen Radschloß. Eine große Verbesserung. Mein Vater hat mir immer erzählt, wie die Arkebusiere ihre Hakenbüchsen auf Ständer gelegt, die Zündschnur angezündet und sich dann abgewandt haben aus Angst, die Dinger könnten explodieren, statt auf den Feind zu schießen.«
»Ein guter Mechanismus, aber heikel. Die Arkebuse da muß mindestens einmal im Monat gesäubert werden, vor allem bei feuchtem Wetter, und das würde ich keinem meiner Diener anvertrauen.«
Gewehre, Jagd. Die langweiligen Beschäftigungen eines barbarischen Gemüts, dachte ich. Fehlen nur noch
Weitere Kostenlose Bücher