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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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unter Federgestöber und schnellem Flügelschlag eine Ente zur Erde geholt hatte, die sich mit aller Kraft wehrte.
    »Das ist aber mal ein lieber kleiner Vogel«, sagte der Fremde und holte mit mir auf, während seine Augen mir einen schrägen, vielsagenden Blick zuwarfen. Irgendwie kam es mir so vor, als redete er gar nicht über Vögel. Ich senkte den Blick, und mein Gesicht glühte. »Sie steigen auf und treffen auf Gewalt, und der Schwächere wird in einem Kampf auf Leben und Tod zur Erde gezwungen, seine schönen Federn werden zerrupft und verteilen sich mit dem Lebensblut auf dem Wasser.« Da empfand ich eine gewisse Bangigkeit. »Der Tod hat etwas Sinnliches, findet Ihr nicht auch?« sagte er. Seine Stimme war sanft und einschmeichelnd. Er war so dicht aufgeritten, daß ich seinen Duft wahrnahm, der sich mit Pferdeschweiß und Leder vermischte. Dabei wurde mir bange ums Herz. Etwas in meinem Inneren erzitterte.
    »Mein Bruder ist ein ausgezeichneter Falkner«, sagte ich.
    »Das bin ich auch«, entgegnete er in diesem ganz eigenen Ton, der allem einen Doppelsinn verlieh. Er musterte mich, dann gab er seinem Pferd die Sporen und gratulierte Annibal. Auf einmal verabscheute ich mich, dachte, o Sibille, wie konntest du nur, du, der es gegeben ist, sich gewählt auszudrücken, die du einen so hellen Kopf hast, du hast jämmerlich versagt, hast nichts Witziges erwidert, nichts Leichtes und Charmantes, damit er noch länger an deiner Seite bliebe und sich mit dir unterhielte. Auf Papier strömen deine Worte wie ein glitzernder Wasserfall, im Leben bist du stumm wie ein Fisch.
    »Ein Tag, wie er im Buche steht«, hörte ich ihn zu Annibal sagen, während wir an den grünen Halmen des wachsenden Weizenfeldes, den sich wiegenden Pappeln, den Bauernkaten mit ihren kleinen Gemüsegärten vorbei- und auf die Spitzdächer des Gutes zuritten. Die Brise verwehte die Antwort meines Bruders. Doch als wir durch die Gutstore klapperten, hörte ich d'Estouville sagen: »Du bist ein Glückspilz, Annibal, wirst von all diesen gutaussehenden Schwestern verwöhnt.« Wie schön seine Gestalt hoch zu Roß war, als wären Tier und Mensch eins, und sein Rücken war gerade wie eine Schwertklinge. Wieder warf er mir dieses hinreißende, vielsagende Lächeln zu. Wie blendend der Blick seiner bernsteinfarbenen Augen. Wie verwegen und bezaubernd und, Gott steh mir bei, wie jung und lebendig er mir vorkam, verglichen mit Thibauld Villasse. Doch zwischen uns standen Rang und Gunst, die Forderungen der Familie, guter Ruf und Ehre. Wenn ich es doch nur wagen würde…
    Er hatte sein Pferd angespornt und ritt jetzt neben Laurette, erzählte ihr einen Witz, und sie lachte. Ich sah, wie er verstohlen einen Blick auf ihre hübschen Knöchel warf, denn es war ihr gelungen, sie zu entblößen. Sie ritt im Damensattel und hatte ihre niedlichen, zarten Füße wie zwei Kleinodien auf das buntbemalte Brett gestellt, das an der linken Seite ihres Sattels festgeschnallt war. Ich sah, daß sie ihr bestes Paar grüne Strümpfe angezogen hatte. Und wie hatte sie es nur geschafft, daß sie so stramm anlagen? Ich blickte zu meinen eigenen großen, knochigen Füßen hinunter. Verräter, dachte ich. Deine Beine will niemand in Strümpfen sehen, wie hoch du auch immer die Röcke schürzt. Vielleicht ist Villasse ja alles, was du verdienst.
    Man stelle sich nur die trübselige Gemütsverfassung vor, in der ich abstieg, sie stand ganz und gar im Gegensatz zu dem prachtvollen, roten Sonnenuntergang, als Mutter uns an der Tür mit dem unerwünschten Brief empfing, der mich an mein drohend bevorstehendes Schicksal gemahnte. Villasse hatte geschrieben, daß er bei einem Buchdrucker in Lyon ein ganzes Inventar an religiösen Büchern mit leuchtenden Initialen erworben und neue Vorhänge für unser Brautlager erstanden habe. Da es mir nun nicht mehr an persönlichem und spirituellem Trost ermangele, sähe er keine Veranlassung, das freudige Ereignis unserer Vermählung weiter hinauszuschieben.
    »Er hat eine Liste der Bücher beigelegt, Sibille. Er scheint ziemlich viele gekauft zu haben«, sagte Mutter und reichte mir den Brief. O je, da waren sie aufgezählt, fromme Predigten, Werke der Kirchenväter, ein Meßbuch, ein Stundenbuch.
    Ich hatte geglaubt, er würde länger dazu brauchen, alles aufzutreiben. Er mußte seinen Schreiber sofort losgeschickt haben.
    »Aber… aber meine Aussteuerwäsche ist noch nicht fertiggestickt«, stammelte ich.
    »Recht so, meine gute

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