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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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nichts gegen Marits Tränen tun. Sie waren in Ordnung, sie mussten geweint werden, so wie der Regen des Niño fallen und die Vulkane ausbrechen mussten.
    Für einen Moment fragte er sich, ob die Tränen die Mariposa wohl versenken könnten. Es war eine sehr schwere Sorte von Tränen: getränkt mit Asche und Glut, mit tausend Kilometern einer schweigenden Reise. Aber die Mariposa war auch eine sehr starke Sorte von Boot: gefirnisst mit dem Sonnenschein von tausend Äquatortagen.
    Nach einer sehr langen Zeit hörte Marit genauso abrupt auf zu weinen, wie sie angefangen hatte. Sie wischte sich die letzten Tränen mit dem Ärmel aus dem Gesicht und blinzelte.
    »Tut mir leid«, murmelte sie.
    »Ist okay«, sagte José. »Nur … lass jetzt vielleicht den Albatros los. Du erdrückst ihn.«
    Sie lachte. »Das ist es, was man hören will, wenn man weint«, sagte sie. »Keine geheuchelten Mitleidsreden. Sondern genau diesen Satz: Lass jetzt den Albatros los.«
    Und plötzlich gähnte sie.
    »Schlaf«, sagte José. »Leg dich in die Kajüte und schlaf. Es war eine lange Nacht. Ich übernehme die erste Wache.«
    »Aber es ist Morgen! Schau, die Sonne geht gerade auf.«
    »Na und?«, sagte José und grinste. »Ist das etwa unsere Schuld?«
    Als Marit die wenigen Stufen hinunterstolperte, sah er, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Der Wasserleguan, der neu zur Arche gestoßen war, folgte ihr auf trägen Echsenfüßen. José versuchte, nicht daran zu denken, wie müde er selbst war. Er war ein Mann, er musste wach bleiben. Zum ersten Mal seit Beginn ihrer Reise wünschte er sich für einen kurzen Moment, kein Mann zu sein.
    Er hob den Kopf und wollte die Morgensonne ansehen, doch eine schwarze Wolke bedeckte sie, eine Wolke, die der Wind von Marchena herantrug. Und dann begann es Asche zu regnen. Der Vulkan schickte seinen letzten Abschiedsgruß, ehe er sie gehen ließ.
    Marit tastete sich durchs Dunkel der Kajüte und ließ sich auf die Steuerbordbank fallen, ohne auch nur die Schuhe auszuziehen. Sie schlief nach Sekunden. Sie hatte so sehr gehofft, nichts zu träumen. Aber noch waren ihre Träume nicht fertig mit ihr. Sie träumte von Richard.
    Es war Sommer und die Hitze kochte in den Straßen. Die hohe Sonne leuchtete die zerbombten Häuser grell aus wie Theaterkulissen. Das erste Gras wucherte bereits zwischen den Wänden. Im Traum saß Marit auf einem Stück Mauer, das früher ihre Haustür enthalten hatte, und warf Kieselsteine nach einem vergessenen Blechnapf. Es war nur die Puppe Marit, die sinnlose Kiesel warf.
    »Hallo, Marit«, sagte Richard, und die Puppe zuckte zusammen, denn obwohl sie nicht sprechen konnte, konnte sie doch ganz gut hören. Richard musste sich angeschlichen haben. Er setzte sich neben sie auf die Mauer.
    »Es war jemand hier«, sagte er. »Heute Morgen. Hat nach dir gefragt. Willst du nicht wissen, wer das war?«
    Marit traf den Blechnapf.
    »Willst du nicht? Ich könnte es dir sagen. Aber du redest ja nicht mit mir.«
    Marit traf ein zweites Mal.
    »War so ein Mann, der sagte, er kennt dich, aber als ich gefragt hab, woher, da hat er angefangen zu stottern. Ich glaub, ich hab ihn schon mal hier gesehen. Verwandter vielleicht? Sein halbes Gesicht steckte unter einem Verband, aber er hatte solche Augen wie du. Hager war er und blass wie der Tod. Sah unheimlich aus.«
    Marits Stein prallte am Rand des Blechnapfs ab.
    »Wollte wissen, wo du jetzt wohnst«, sagte Richard. »Weiß nicht, ob ich ihm das Richtige gesagt hab. Ich dachte, vielleicht willst du nicht, dass er weiß, wo du wohnst.«
    Marit sah ihn zum ersten Mal an. Er versuchte schlau zu lächeln. »Ich hab ihm gesagt, du wärst tot. Bei dem Bomben-angriff umgekommen.«
    Da nickte die Puppe Marit, ganz langsam. Vielleicht hatte die Puppe eine Idee, wer der Mann gewesen sein könnte. Ein Onkel, zum Beispiel, ein Onkel, mit dem ihre Eltern seit einer ganzen Weile nicht gesprochen hatten, weil er zu denen gehörte, die den Krieg wollten. Wenn er in seiner Uniform gekommen wäre, hätte Richard ihm die Wahrheit gesagt. Dann hätte Richard ihm alle Wahrheiten gesagt, die er hören wollte, und noch ein paar dazuerfunden, nur um ihm zu gefallen. Aber das dachte die Puppe nur sehr, sehr tief unter ihrer Puppenoberfläche.
    »Wenn ich das richtig gemacht habe, verdiene ich eigentlich ein Dankeschön«, sagte Richard. »Einen Kuss, zum Beispiel.«
    Da rutschte die Puppe von der Mauer und ging davon.
    »Wenn das nächste Mal einer

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