Die geheime Reise der Mariposa
nach dir fragt, dann hetz ich ihn dir auf den Hals, Miststück!«, schrie Richard ihr nach.
Seine Worte hallten noch in ihren Ohren, als sie aufwachte. Eine Weile lag sie mit geschlossenen Augen in der Dunkelheit und dachte daran, dass ein paar Wochen später ein gewisser Thomas Waterweg bei Frau Adams Schwester aufgetaucht war, um seine Nichte mit in Richtung der Galapagosinseln zu nehmen. Aber warum hatte er sich einen Verband übers halbe Gesicht geklebt, als er zuerst nach ihr gefragt hatte? Und warum hatte er zwischen den beiden Versuchen, sie zu finden, ein paar Wochen verstreichen lassen? Es ergab keinen Sinn. Je häufiger sie über die Stücke ihrer Erinnerung nachdachte, desto weniger Sinn ergaben sie. Überall schien etwas zu fehlen, etwas verborgen zu sein, etwas nicht zusammenzupassen.
Sie hörte im Dunkeln etwas atmen. Etwas Großes. Etwas, das sich nicht anhörte wie ein Leguan, nicht einmal wie ein Albatros. Marit öffnete die Augen. Doch auch bei Tag war es hier unten in der Kajüte dunkel, denn Casafloras Vorräte an Dosensuppen, Dauerbrot und anderen ungenießbaren Notwendigkeiten waren direkt vor den winzigen Fenstern gestapelt. Sie drehte den Kopf ein wenig und sah einen schlafenden Körper auf der zweiten Bank liegen. Den Körper eines Erwachsenen.
»José?«, flüsterte sie. Aber saß José nicht oben am Steuer?
Ihr wurde auf einen Schlag sehr, sehr kalt. Sie wollte nach José rufen, doch ihr Mund war vollkommen trocken, und ihre Zunge klebte am Gaumen, als wäre sie im Feuer des Vulkans verdorrt. Wer befand sich noch auf der Mariposa?
Lied des Buckelwals
Ich wollt so gerne fliegen,
mich hindert mein Gewicht.
Gut zwanzig Tonnen Fleisch und Tran,
gut zwanzig Tonnen Wunsch und Wahn:
schwer nur in die Luft zu kriegen!
So bleibe ich hier liegen,
und ach, ich fliege nicht.
Wie oft bin ich gesprungen!
Doch hielt die Luft mich nie.
Ich kann nur mit den Flossen schlagen
und mein Leid den Meeren klagen.
Wie oft hab ich meinen Jungen
von den Träumen vorgesungen,
in denen ich entflieh.
Ich wandre tief unter dem Wind,
ich wandre Kontinente weit.
Ich seh vom Ozean aus die Sterne
in unerreichbar großer Ferne.
Und wo die Wasser wärmer sind,
gebäre ich mein Walfischkind.
Ach, hätt’s ein Federkleid …
Die Federn, die der Mensch sich macht,
sind neuerdings aus Blech und Stahl.
Doch fliegt er nicht, weil es vonnöten,
er fliegt, um aus der Luft zu töten.
Der Mensch, der es so weit gebracht,
ich seh ihn fallen in der Nacht,
viel schwerer als ein Wal.
El mensaje del mariposa nocturna
Die Botschaft des Nachtfalters
D
er Vulkan«, sagte Ben Miller fassungslos. »Er hat die Insel in eine Flamme verwandelt. Wenn sie wirklich dort waren … Wir hätten schneller sein müssen. Wir hätten früher losfahren müssen. Es ist alles meine Schuld. Diese unsinnige Wette am Hafen … Ich habe gesagt, wenn er es schafft, die Isla Maldita zu erreichen und herauszufinden, was dort geschieht, dann würden wir ihn mitnehmen, mit in die Luft ……Ich …«
»Ich weiß«, sagte der Mann neben ihm. Seine Stimme klang brüchig, zermürbt. »Das haben Sie mir schon ein Dutzend Mal erzählt. Ich wünschte, der alte Silvio wäre mitgekommen, statt uns nur sein Schiff zu geben. Vielleicht hätten wir sie rechtzeitig erreicht, wenn er die Albatros gesteuert hätte.«
Er sprach gepresst. Ben sah, wie sehr er sich zusammenriss, um nicht vor ihm zu weinen. Ein Mann von den Inseln weinte nicht. Nicht einmal, wenn zwei Kinder im Feuer starben.
»Warten Sie«, sagte Ben, »da – ist sie das nicht? Ist das nicht die Mariposa?«
Er sah, wie sich die Schultern des anderen Mannes strafften.
»Das ist sie«, sagte er. »Und dort, dort hinten ist das andere kleine Boot. Und die Roosevelt. Warum ist die Roosevelt hinter ihnen her? Ich verstehe das nicht.«
»Ich auch nicht«, sagte Ben. »Aber ich ahne etwas. Es gab Gerüchte um die Mariposa. Das Militär hatte schon länger ein Auge auf ihren Besitzer. Wir sollten hinfahren. Zur Roosevelt. Ich … ich habe keinem von denen etwas über mein Gespräch mit José erzählt. Ich dachte, wir könnten ihn zurückholen und niemand müsste etwas davon erfahren. Aber ich werde es meinen Leuten ohnehin sagen müssen. Ich kann es genauso gut jetzt tun.«
»Nein.« Der andere schüttelte den Kopf, sehr bestimmt. »Wir verlieren zu viel Zeit. Wir müssen die Mariposa einholen.«
»Wenn wir nur ein Funksignal hereinbekämen!«, meinte Ben. »Dann könnten wir mit den
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