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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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laufen konnte. Vor ihnen, oben auf dem Berg, brannte der Wald.
    Einen halben Atemzug später warf sich jemand auf Marit und riss sie zu Boden.
    »Seid ihr denn wahnsinnig?«, keuchte Casaflora. »Ihr rennt genau auf das Feuer zu!«
    In seiner Hand blitzte ein Messer. »Warum sind Sie an Land gekommen?«, fragte José.
    »Um dich loszuschneiden«, sagte Casaflora. »Vorhin, als ich dich hierließ, war mir noch nicht klar, was mit der Insel passieren würde. Kommt!«
    »Wohin?«, fragte Marit, als Casaflora sie auf die Beine zog.
    »Zum Strand«, sagte José. »Das ist der einzige Ort, an dem wir sicher sind vor dem Feuer.«
    Doch Casaflora schüttelte den Kopf, und als er das tat, schoss vor ihnen eine Flammensäule in den Himmel und beleuchtete die Bäume auf gespenstische Weise. »Das hier ist kein Buschfeuer«, sagte Casaflora. »Der Vulkan erwacht.«
    »Marit?« Waterweg setzte sich benommen auf und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Er hatte von seiner Schwester geträumt. Ihr Gesicht war ganz nah gewesen.
    »Pass mir auf das Kind auf«, hatte sie gesagt.
    »Ja«, hatte er gesagt. »Ich verspreche es dir. Wo bist du?«
    »Weit weg.« Sie hatte gelächelt und ihre Umrisse waren blasser geworden.
    »Warte!«, hatte er gerufen. »Ich muss dir etwas erklären. Seit der Krieg begonnen hat, habe ich etwas getan, wovon du nichts weißt. Und es ist alles anders, als du denkst … Warte doch!«
    Sie hatte nicht gewartet. Sie hatte ihn alleingelassen.
    Es roch nach Feuer. Und die Steuerbordscheibe der Kajüte war herausgedrückt. Er hatte das lose Fenster vergessen. Er brauchte nicht nachzusehen, um zu wissen, dass Marit nicht mehr da war. Von Marchena flutete eine ungeheure Hitze heran, zusammen mit dem grellen Licht des Feuers. Er stand auf und starrte die brennenden Bäume der Insel an. Er wusste, dass er etwas tun musste, doch auf einmal war er unfähig, sich zu rühren. Er hatte zu viele solcher flammenheller Nächte gesehen.
    Er war zu oft durchs Feuer gegangen.
    Wenn sich die anderen in ihren Kellern versteckt hatten, war er auf der Straße gewesen, um im grellen Feuerschein Dinge zu tun, für die das Licht des Tages nicht geeignet war. Er war nur einer von vielen gewesen. Einer, der überlebt hatte. Und jetzt hatte das Feuer ihn eingeholt, tausend und tausend Meilen entfernt von Deutschlands brennenden Städten.
    »Marit«, flüsterte er. Er wusste, wo sie war. Sie war irgendwo dort, in den Flammen, mitten in der Hitze. Sie musste zur Insel zurückgekehrt sein, um den einheimischen Jungen zu befreien, den sie ihren Bruder nannte.
    Und zwischen seiner Angst um sie und seiner Wut auf ihren Leichtsinn war er stolz auf die Tochter seiner Schwester.
    »Du bist wie ich«, flüsterte er. »Du bist ja wie ich! Und du weißt es nicht!«
    Als er das sagte, schoss eine senkrechte Feuersäule in den Himmel auf. Gleich darauf sah Waterweg, wie sich ein glühender Lavastrom den Berg hinab ergoss.
    Und er wusste, dass er Marit verloren hatte, genau wie ihre Mutter.
    Es war von einem auf den anderen Moment so heiß geworden, dass man kaum noch atmen konnte. Sie rannten zu dritt auf die Küste zu, rannten um ihr Leben. Hinter ihnen spuckte der Vulkan die Erinnerung an eine prähistorische Zeit in den Nachthimmel. Der Boden bebte nun beinahe unaufhörlich, sie stolperten voran wie auf einem unberechenbaren Schiff im Sturm.
    Regenschauer aus verbrannter Erde und kleinen Steinen gingen um sie herum nieder und das Krachen der stürzenden Bäume hinter ihnen füllte ihre Ohren.
    »Schneller!«, keuchte José. »Schneller!«
    Nie, nie war Marit schneller gerannt, und dabei war es, als atmete sie brennendes Öl statt Luft.
    Schließlich sahen sie das Blau des Wassers in der Ferne schimmern. Und dann stolperte Casaflora und fiel. Marit hörte ihn aufschreien vor Wut und Schmerz. Sie blieb stehen und griff nach seinem Arm, um ihm hochzuhelfen.
    »Nein!«, keuchte er. »Nein, ich … ich kann nicht ... Ich bin umgeknickt … Der Knöchel …«
    José riss an Casafloras zweitem Arm, und gemeinsam gelang es ihnen, den alten Mann auf die Beine zu stellen, doch er knickte sofort wieder ein.
    »Wir stützen Sie!«, rief José.
    Casaflora schüttelte den Kopf. »Lauft!«, schrie er. »Es dauert zu lange mit mir!«
    Hinter ihnen brachen noch mehr Bäume, doch jetzt war es nicht das Feuer, das sie fraß. Es war ein glühender Strom voller Felsbrocken, der ihre Stämme knickte. Ein Strom, der unaufhaltsam näher kam.
    »Das ist nicht die Zeit,

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